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Die Romanow-Prophezeiung

Die Romanow-Prophezeiung

Titel: Die Romanow-Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: berry
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einfach nicht mehr ertragen, und so blieb ich eben auf Distanz. Sie starben beide innerhalb weniger Monate. Ein einfacher grippaler Infekt, der sich zu einer Lungenentzündung auswuchs. Ich frage mich oft, ob mich dasselbe Schicksal erwartet. Wenn ich das Publikum nicht mehr mitreißen kann, wo werde ich dann wohl enden?«
    Lord wusste keine Antwort.
    »Für Amerikaner ist es sicherlich schwer zu verstehen, wie das damals war. Eigentlich ist es immer noch so, zu einem gewissen Grad jedenfalls. Man konnte nicht einfach wohnen, wo man wollte, oder tun, was man wollte. Über unser Leben wurde schon früh von anderen entschieden.«
    Er wusste, wovon sie sprach: Man nannte es Raspredelenie , Zuteilung. Die Entscheidung über einen Menschen im Alter von sechzehn Jahren – die Entscheidung darüber, was er mit seinem übrigen Leben anfangen sollte. Wer Beziehungen hatte, hatte auch eine Wahl. Wer keine hatte, nahm, was er bekommen konnte. Wer in Ungnade gefallen war, tat, was man ihm sagte.
    »Den Kindern der Parteimitglieder ging es immer gut«, erklärte sie. »Sie bekamen die besten Stellen in Moskau – also dort, wo jeder leben wollte.«
    »Außer Ihnen?«
    »Ich hasste die Stadt. Für mich war sie immer ein elendes Loch. Aber ich musste zurück. Der Staat brauchte mein Talent.«
    »Sie wollten also nie wirklich auftreten?«
    »Wussten Sie etwa mit sechzehn schon genau, was Sie mit Ihrem Leben anfangen wollten?«
    Lord schwieg.
    »Einige meiner Freunde nahmen sich das Leben. Das war aus ihrer Sicht immer noch besser, als ihre Zeit am Polarkreis oder in einem abgelegenen sibirischen Dorf mit irgendeiner verhassten Arbeit zu vergeuden. Ich hatte eine Schulfreundin, die Ärztin werden wollte. Sie brachte hervorragende Leistungen, hatte aber nicht die nötigen Beziehungen zur Partei, um zum Studium zugelassen zu werden. Andere, die weit weniger begabt waren, haben es dagegen geschafft. Meine Freundin landete als Arbeiterin in einer Spielzeugfabrik.« Sie durchbohrte Lord mit ihrem Blick. »Sie sind ein Glückspilz, Mr. Lord. Wenn Sie alt oder krank werden, bekommen Sie Hilfe von Ihrer Regierung. Bei uns gibt es so etwas nicht. Die Kommunisten schimpften auf den Zaren und seine Verschwendungssucht, aber selber waren sie keinen Deut besser.«
    Langsam begann Lord die Vorliebe der Russen für die ferne Vergangenheit besser zu verstehen.
    »Im Zug habe ich Ihnen von meiner Großmutter erzählt. Das war alles wahr. Sie wurde eines Tages abgeholt und tauchte nie wieder auf. Sie arbeitete in einem staatlichen Laden und musste mit ansehen, wie die Geschäftsführer die Regale plünderten und den Diebstahl dann anderen in die Schuhe schoben. Irgendwann schrieb sie einen Beschwerdebrief nach Moskau. Sie wurde entlassen, ihre Rente gestrichen, und man stempelte sie als Denunziantin ab. Danach wollte niemand mehr sie einstellen. Also hat sie angefangen zu dichten. Die Dichtung war ihr Verbrechen.«
    Er blickte sie fragend an: »Was meinen Sie damit?«
    »Sie schrieb bevorzugt über den russischen Winter, über Hunger und das Weinen der Kinder. Über die Gleichgültigkeit der Regierung den Menschen gegenüber. Der örtliche Parteisowjet betrachtete das als Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Sie fiel auf – ein Individuum, das sich über die Gemeinschaft erhebt. Das war ihr Verbrechen. Man betrachtete sie als Gefahr, als jemanden, der Gleichgesinnte um sich scharen könnte. Also ließ man sie verschwinden. Wir sind vielleicht das einzige Land der Welt, das seine Dichter hingerichtet hat.«
    »Akilina, ich verstehe sehr gut, dass Sie alle die Kommunisten hassen. Aber man darf doch die Realitäten nicht verkennen. Vor 1917 war der Zar ein ziemlich unfähiger Herrscher, dem es mehr oder weniger egal war, ob seine Polizei Zivilisten erschoss. Am Blutsonntag des Jahres 1905 mussten Hunderte nur deswegen sterben, weil sie gegen seine Politik protestiert hatten. Dies war ein brutales Regime, das gezielt Gewalt und Terror einsetzte, um zu überleben, genau wie später die Kommunisten.«
    »Aber der Zar stellt ein Bindeglied zu unserem nationalen Erbe dar. Eines, das mehrere hundert Jahre zurückreicht. Er ist die Verkörperung Russlands.«
    Lord lehnte sich in seinem Sessel zurück und holte ein paarmal tief Luft. Er verfolgte die Flammen im Kamin und lauschte dem Knistern des Holzes. »Akilina, dieser Mann möchte, dass wir nach einem vermuteten Thronerben suchen, also nach jemandem, von dem wir nicht einmal wissen, ob es ihn gibt. Und das

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