Die Romanow-Prophezeiung
Familie eine einzige Enttäuschung gewesen. Seine Mutter hatte sich ein Mädchen gewünscht, und um sich zu trösten, ließ sie Felix das Haar lang wachsen und zog ihm Mädchenkleider an, bis er fünf war.
»War Jussupow nicht von Rasputin fasziniert?«, fragte Lord.
Paschkow nickte. »Einige Biografen unterstellen sogar, dass Rasputin homosexuelle Avancen von Seiten Jussupows zurückgewiesen haben könnte, was wiederum Jussupows späteren Hass auf Rasputin erklären würde. Seine Frau war die Lieblingsnichte Nikolaus’ II. und galt als die vielleicht beste Partie in ganz Russland. Er war Nikolaus zu größter Loyalität verpflichtet und betrachtete es als seine Aufgabe, den Zaren von Rasputins verderblichem Einfluss zu befreien. Diese absurde Idee wurde noch von anderen Adligen unterstützt, die auf die Position des Starez bei Hofe neidisch waren.«
»Ich habe Jussupow nie für sonderlich intelligent gehalten, eher für einen Gefolgsmann als für eine Führungspersönlichkeit.«
»Vielleicht wollte er selbst diesen Eindruck erwecken. Wir gehen jedenfalls davon aus.« Paschkow hielt inne. »Nun, da Sie einverstanden sind, kann ich Ihnen ja mehr über die Informationen erzählen, die mich erreicht haben. Mein Großonkel und mein Onkel hüteten ihren Teil des Geheimnisses bis zu ihrem Tod. Es sind die Worte, die an die nächste Person in der Kette weitergegeben werden müssen, also nach meiner jetzigen Überzeugung entweder an Kolja Maks oder an seinen Nachfolger. ›Wer aber bis ans Ende beharret, der wird selig.‹ «
Lord musste sofort an seinen Vater denken. »Das ist aus dem Matthäus-Evangelium.«
Paschkow nickte. »Diese Worte sollten den Zugang zum zweiten Teil der Reise liefern.«
»Ihnen ist doch wohl klar, dass das Ganze ein hoffnungsloses Unterfangen sein könnte«, meinte Lord.
»Das glaube ich jetzt nicht mehr. Sowohl Alexandra als auch Lenin erwähnten dieselbe Information. Alexandra verfasste ihren Brief im Jahr 1916 und beschrieb darin den Vorfall mit Rasputin, den der Gründer unabhängig davon an uns überlieferte. Sechs Jahre später schrieb Lenin nieder, was ein gefolterter Weißgardist geäußert hatte. Er erwähnte eigens den Namen Kolja Maks. Nein. Da ist etwas in Starodug. Etwas, das Lenin verborgen blieb. Nach seinem Schlaganfall im Jahr 1922 war Lenin so geschwächt, dass er sich mehr oder weniger aus der Politik zurückzog. 1924 starb er dann. Vier Jahre später ließ Stalin das gesamte Material versiegeln, und es blieb versiegelt bis 1991. Die Romanow-Sache , wie Stalin es nannte. Er verbot allen, die Zarenfamilie auch nur zu erwähnen. Deshalb ist keiner je Jussupows Spur gefolgt, falls jemand diese Spur bemerkt haben sollte.«
»Wenn ich mich recht entsinne«, sagte Lord, »betrachtete Lenin den Zaren nicht unbedingt als potenziellen Sammelpunkt für eine Opposition. Im Jahr 1918 waren die Romanows ziemlich in Verruf geraten – Sie wissen schon, ›Nikolaus der Blutige‹ und so. Die Kampagne der Kommunisten gegen die Zarenfamilie war recht erfolgreich.«
Paschkow nickte. »Einige der Briefe des Zaren und der Zarin wurden damals erstmals veröffentlicht. Das war alles Lenins Idee. So konnten die Menschen aus erster Hand erfahren, wie gleichgültig die Zarenfamilie ihnen gegenüber geworden war. Natürlich war das veröffentlichte Material sehr genau ausgewählt und stark bearbeitet. Zudem wollte Lenin damit für das Ausland ein Signal setzen. Er hoffte, der deutsche Kaiser sei an der Befreiung Alexandras interessiert. Vielleicht glaubte er, durch das Spiel mit ihrem Schicksal die Deutschen zum Friedensvertrag bewegen oder die Rückkehr russischer Kriegsgefangener erreichen zu können. Aber die Deutschen verfügten über ein ausgedehntes Spionagenetz in ganz Russland und besonders im Ural, und deshalb nehme ich an, dass der Kaiser von der Ermordung der Zarenfamilie im Juli 1918 wusste. Lenin handelte gewissermaßen mit Leichen.«
»Und was ist mit all den Geschichten, dass die Zarin und ihre Töchter überlebt haben?«
»Das sind nur weitere Desinformationen, die von den Sowjets gestreut wurden. Lenin war nicht sicher, wie die Welt die Ermordung von Frauen und Kindern aufnehmen würde. Moskau versuchte mit allen Mitteln, das Geschehene als gerechte Exekution hinzustellen, die auf heldenhafte Weise ausgeführt worden war. Also erfanden die Kommunisten eine Geschichte, der zufolge die weiblichen Romanows zunächst von der Erschießung ausgenommen wurden und später in einer
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