Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition)
Gutes getan haben. Computernerds sind berüchtigt dafür, schlimme Pullover zu tragen. Fußballer hausen in architektonischen Schandflecken. Heilige kümmern sich nicht genug um ihre Frisur. Sollten Sie allerdings Zugang zur von Glorienschein umgebenen Welt der Schönen Künste erstreben, sollten Sie Ihrem Auge eventuell doch etwas ästhetische Bildung zukommen lassen. Wenn man der Literatur Glauben schenken darf, ist es zum Lernen nie zu spät. Schon so mancher Spießbürger hat gelernt, sich nach der jeweils angesagten Mode zu kleiden – und guten Geschmack zur Schau zu tragen, auch wenn er ihn eigentlich nicht besaß. Denken Sie nur an Julien Sorel aus Stendhals Rot und Schwarz . Als Sohn eines Sägemühlenbesitzers kennt er sich in der Welt der hohen Kunst nicht gerade gut aus. Glücklicherweise hat ihm die Natur trotzdem ein verfeinertes Empfindungsvermögen mitgegeben, sodass er ohnmächtig wird, wenn ihm etwas Schönes begegnet. Mit etwas Unterstützung durch Bücher und sein fotografisches Gedächtnis beeindruckt er seine Dienstherren ohne Ende, als er in einer eleganten Familie Hauslehrer wird und seine Zeit in den Kreisen der Adelselite verbringt. 146
Die Beobachtung, dass in der Literatur ästhetisches Urteilsvermögen nicht sehr oft mit weltlichem Erfolg einhergeht, ist interessant – und auch Die Schönheitslinie macht hier keine Ausnahme. Nick Guest, Uniabsolvent, Junggeselle und Ästhet, hat Gefallen an einem luxuriösen Lebensstil gefunden, den zu erreichen ihm aber die Mittel fehlen. Er wird Untermieter im Haus des Abgeordneten Gerald Feddens, dem Vater seines besten Studienfreundes. Deren viktorianisches Stadthaus ist voller schöner und begehrenswerter objets d'art , die die Familie allerdings, wie Hollinghurst genussvoll hervorhebt, eher als Symbole ihres Reichtums und ihrer Macht ansieht, anstatt einen wirklich guten Geschmack zu besitzen. Während Nick nach Wegen sucht, in dieser Welt der reichen Leute – die immer reicher sein werden als er – zu überleben und nebenbei halbherzig seine Doktorarbeit über Henry James fertig zu kriegen, wird er vom gesellschaftlichen Status – und der körperlichen Schönheit – Wani Ouradis angezogen, eines jungen Millionärs, den er bei einer Feier der Feddens kennenlernt ( ▶ Emporkömmling; einer sein ).
Bald planen er und Wani – Sohn eines libanesischen Supermarktmoguls – die Gründung eines durchdesignten Magazins. Nach der S-förmigen Kurve, die in so vielen Künsten ein Standardmaß für Schönheit ist – in der islamischen und gotischen Architektur beispielsweise –, soll es »Ogee« heißen (William Hogarth nannte diese Kurve »die Schönheitslinie«, daher auch der Titel des Romans). Für Nick zeigt sich diese Linie überaus sinnlich in der Kurve, die der Rücken eines jungen Mannes beschreibt, und zwar an der Stelle, wo er in sein Gesäß übergeht. Die Dinge geraten aus dem Tritt, als die sexuellen Vorlieben gleich mehrerer Figuren bekannt werden, was für Gerard Fedden verheerende Folgen hat. Und obwohl Nick, der Kuckuck im Nest, eine gewisse Rolle bei Feddens Fall spielt, rettet ihn letzten Endes sein angeborenes ästhetisches Wahrnehmungsvermögen. Wenn man diesen Roman liest und Nick aufmerksam dabei zuhört, wie er sich vor weniger fein gestimmten Angehörigen seines Milieus über Musik und Kunst ergeht, wird sich Ihr eigenes Zartgefühl öffnen wie ein Gänseblümchen in der Sonne. Wir ver 147 langen ja gar nicht von Ihnen, dass Sie Ihre Rentier-Strickjacke wegwerfen; aber vielleicht wird Ihnen irgendwann diese gewundene Schönheitskurve auffallen – in der Kunst, in der Musik oder vielleicht am unteren Rücken Ihres/Ihrer Geliebten.
Geschwisterrivalität
Kain
José Saramago
Die Mühle am Floss
George Eliot
Große, kleine Schwester
Peter Härtling
Die Literatur ist brechend voll mit sich zankenden Geschwistern, jungen und alten. Kleine Geschwister, die ihre größeren Geschwister anhimmeln und nichts dergleichen zurückkriegen, Geschwister, die um die elterliche Aufmerksamkeit buhlen, Geschwister, die sich missbrauchen, die sich zu sehr lieb haben und die sich einfach nur gegenseitig auf den Nerv gehen, eben weil sie Geschwister sind.
Ein bisschen Konkurrenz zwischen Geschwistern bleibt wohl nicht aus, aber hüten Sie sich vor dem Beispiel Kains, der es eindeutig zu weit getrieben hat. Die meisten von uns kennen diese archetypische Geschichte eines Brudermords aus der Bibel, aber in José Saramagos Roman Kain
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