Die Rose der Highlands
verdächtig. Sie
befürchtete, dass Miss Brannon das Zimmer für ihren Besuch eben noch eilig
präpariert hatte. Dann blieb ihr Blick an Roses rechtem Arm hängen, der über
der Bettdecke lag. Was, wenn ⦠Lili stockte der Atem. Behutsam streifte sie den
Ãrmel von Roses Nachthemd hoch und erschauderte. Dort war unverkennbar eine
frische Einstichstelle. Was würde Lili darum geben, wenn sie diese auf der
Stelle der Polizei zeigen könnte. Und man die beiden, die ihrer Tochter das
angetan hatten, verhaften würde.
Lili konnte es kaum fassen. Es war ja nicht so, dass das Haus in der
Church Street nichts abwerfen würde, aber sich dafür derart schuldig zu machen?
Das wollte ihr nicht in den Sinn. Vor allem, warum hatte Lord Fraser auch Rose
mit ins Unglück gestürzt? Um die halbe Church Street hätte er auch Isobel
betrügen können, und es wäre weitaus einfacher gewesen. Er hätte doch nur
weiterhin den reizenden Verlobten spielen müssen. Wahrscheinlich hätte sie ihm
gegeben, wonach ihm verlangte.
Lili konnte sich nicht helfen. Es musste noch etwas anderes im Spiel
sein. War er doch ein Makenzie aus Nova Scotia? Plötzlich erinnerte sie sich an
das zerfledderte braune Büchlein. Mit zitternden Händen holte sie es aus ihrer
Handtasche hervor. Die ersten Seiten waren ganz herausgerissen. Dann folgten
halbe Seiten. Lili wurde noch unheimlicher zumute. Das erinnerte sie daran, wie
Niall damals Caitlins Tagebuch zerfetzt hatte. Hier war rohe Gewalt im Spiel
gewesen.
Die ersten leserlichen Seiten überflog sie. Sie war enttäuscht, denn
es war die Geschichte eines Ich-Erzählers, der sich seitenlang darüber auslieÃ,
wie ärmlich und entbehrungsreich er aufgewachsen war. Er habe Dreck essen und
auf dem nackten Boden schlafen müssen, weil ihn böse Menschen als Baby
ausgesetzt hätten. Ãberdies wimmelte es nur so von Fehlern. Manche Wörter
konnte sie nur erraten, weil sie so falsch geschrieben waren.
Unter anderen Umständen hätte diese Geschichte vielleicht sogar
Lilis Mitleid erregt, aber nicht jetzt, wo sie darauf hoffte, dass ihre Tochter
endlich aufwachen würde. Mehr, um sich abzulenken, las sie das Folgende
flüchtig an. Sie wollte es gerade zur Seite legen, weil der Schreiber nun in
allen Einzelheiten ausführte, wie grausam diese Menschen an ihm gehandelt
hatten, da las sie den Namen Mhairie Munroy.
Vor Schreck lieà Lili das Buch fallen. Sie bückte sich und griff mit
schweiÃnassen Händen danach. Als sie es wieder aufschlug, blickte sie auf eine
völlig andere Handschrift. Es musste also von zwei Menschen geschrieben worden
sein, aber das zu erforschen, würde sie sich für später aufheben müssen. Sie
wollte erst einmal den Namen Mhairie wiederfinden. Hektisch blätterte sie das
Buch durch. Vergeblich. Sie fragte sich schon, ob sie sich in ihrer groÃen
Anspannung getäuscht hatte, aber da stand es in krickeliger Schrift Mhairie Munroy.
Lili hielt die Luft an, als sie sich in die Zeilen vertiefte.
Mutter weinte auf dem Sterbebett, weil
sie mich nun allein zurücklassen musste. Mich, das Baby, das sie vor dem
Erfrieren gerettet hatte. Das Baby, das in einer weichen Wiege hätten liegen
sollen, weil sie es in die Obhut seiner GroÃeltern gegeben hatte. Scheinheilig
war Mhairie Munroy darauf eingegangen, die Zwillinge ihres Sohnes aufzuziehen,
aber nur, um ein Kind klammheimlich verschwinden zu lassen. Das Schicksal fiel
auf mich. Sie behielt meinen kräftigen Bruder und setzte mich im Wald aus. Dort
fand mich meine Mutter, halberfroren, die Hand zerstört und mein Gesicht entstellt.
Sie rettete mein Leben â¦
Lili stierte ungläubig auf diese Zeilen. Sie weigerte
sich, zu glauben, was sie dort las. Doch wenn der Verfasser dieser Zeilen
Dustens Zwillingsbruder war, wer war denn der Mann, der sich Keith nannte? Sein
Sohn, der das groÃe Unrecht rächen wollte, das man seinem Vater angeblich
angetan hatte?
Lili konnte es nicht fassen. Dann wäre es kein Makenzie, der den
Munroys nach dem Leben trachtete, sondern ein Munroy! Und es beruhte alles nur
auf einer verdammten Lüge der jungen Frau, die zwei Kindern das Leben geschenkt
hatte, Mhairie aber nur eines davon vor die Tür gelegt hatte. Lili hatte den
Brief dieser Frau, in dem sie Mhairie bat, ihr Kind im Haus Munroy aufzuziehen,
mit eigenen Augen gesehen. Wie sollte Mhairie denn ahnen, dass es noch
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