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Die Rose der Highlands

Die Rose der Highlands

Titel: Die Rose der Highlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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zu tun gibt.«
    Der Rabe kniete nieder und streckte ihr seine behandschuhte Hand hin. Die letzten Sonnenstrahlen fielen ins Gemäuer der verbliebenen Rundbögen und malten Muster aus Licht und Schatten an die hintere Wand und auf den Mann, der ihr versprochen hatte, sie in Geheimnisse einzuweihen, aus seiner Person jedoch weiterhin ein Geheimnis machte. Er musterte sie von Kopf bis Fuß mit dunklen, ernsten Augen.
    Wieder hatte sie das Gefühl, ihn zu kennen, und es beunruhigte sie in einer Weise, die sie nicht verstand. Sie schob den Gedanken weg und ging zu ihm hinüber.
    »Ihr zittert«, bemerkte er, als sie ihre Hand in seine ruhige legte. »Wenn Ihr Euch fürchtet – noch ist es nicht zu spät.«
    »Ich werde nicht furchtsam sein«, versprach sie lächelnd.
    Er ließ ihre Hand los, schwang die Beine in die Öffnung und legte seine Unterarme zu beiden Seiten auf. »Es ist dunkel«, warnte er, »und es riecht schlecht.«
    »Beides kann mich nicht abschrecken«, erklärte sie und kniete sich hin.
    Er stieg in die Finsternis hinab, und sie folgte ihm langsam. Als sie die erste Stufe ertastet hatte, griff er an ihr vorbei nach oben und schob die Platten an ihren Platz.
    Als er den Kopf senkte, spürte sie seinen Atem. »Verzeiht mir«, sagte er dicht an ihrem Ohr, und sie hatte den seltsamen Eindruck, dass er sie nicht nur für diese unabsichtliche Annäherung um Verzeihung bat.
    Die Dunkelheit war undurchdringlich, seine Nähe atemberaubend. Wieder hatte sie das Gefühl, ihn zu kennen.
    »Was ist, Leitis?«
    »Nichts.« Sie sagte sich, dass ihr Gefühl töricht war.
    »Ihr braucht Euch nicht vor mir zu fürchten, Leitis.« Das Gälisch klang wie Musik in ihren Ohren. Obwohl verboten, sprachen die Dorfbewohner es untereinander, und sie war seit Tagen von der Gemeinschaft abgeschnitten, gefangen in einer englischen Welt.
    »Das tue ich nicht«, erwiderte sie, doch ihre Stimme bebte.
    Nach einem Moment des Zögerns begann er hinunterzusteigen und sagte, als hätte es den Augenblick der Nähe nicht gegeben: »Es ist hilfreich, wenn Ihr beiderseits die Hände an die Mauern legt. Aber seid vorsichtig – die Wände sind glitschig.«
    Sie streckte die Arme aus, und ihre Finger berührten etwas Feuchtes. Hoffentlich waren es nur Flechten.
    »Wie weit ist es denn noch?«, erkundigte sie sich nach einer Weile.
    »Nicht mehr weit.«
    »Es wäre gut, eine Laterne zu haben«, meinte sie.
    »Nein.« Er klang belustigt. »Dann würdet Ihr ja sehen, was Ihr da berührt.«
    Erschrocken zog sie die Hände weg und behielt sie für den Rest des Abstiegs bei sich.
    »Habt Ihr diese Treppe schon oft benutzt?«, fragte sie.
    »Nein.«
    »Wie habt Ihr sie entdeckt?«
    »Zwei Freunde haben sie mir gezeigt.«
    »Beantwortet Ihr meine Fragen so einsilbig, weil sie Euch unwillkommen sind?«
    »Wart Ihr schon immer so neugierig?«, konterte er.
    »Ja.«
    »Ihr müsst anstrengend für Eure Eltern gewesen sein.«
    »Das waren eher meine Brüder. Allerdings habe ich sie auch mit allerhand Abenteuern in Atem gehalten.«
    »Seid Ihr deshalb hier, Leitis? Um ein Abenteuer zu erleben?«
    »Ja«, hörte sie sich zu ihrer Überraschung antworten. »Und um für ein paar Stunden eine Rebellin zu sein.«
    »Um festzustellen, wie das ist?«
    Seine Einfühlsamkeit erstaunte sie. »Ich habe mich das oft gefragt«, gab sie zu. »Meine Brüder und ich standen uns als Kinder sehr nahe, aber als wir älter wurden, entfernten wir uns voneinander. Meine Brüder wurden Männer und begannen ein Leben zu führen, das anders war als meines.«
    »In welcher Hinsicht?« Sie hörte an seiner Stimme, dass er stehen geblieben war. Weil er auf ihre Antwort neugierig war?
    »Von mir wurde erwartet, dass ich heiratete und Kinder bekäme und die Pflichten erfüllte, die einer Frau zukommen. Fergus und James waren einfach sie selbst. Sie gingen auf die Jagd, wie sie es immer getan hatten, und zum Fischen, wie sie es immer getan hatten, und schwammen im See und führten sich von Zeit zu Zeit kindisch auf. Sie waren erwachsen, aber eigentlich noch immer Jungen.«
    »Während man von Euch erwartete, eine Frau zu werden.«
    »Das hatte auch sein Gutes«, gab sie zu. »Die beiden zogen in den Krieg und bezahlten ihr Erwachsensein mit dem Leben, während ich zu Hause blieb.«
    Es musste an der Dunkelheit liegen, die eine seltsam vertraute Stimmung schuf – sie hatte nicht die Absicht gehabt, ihm das alles zu erzählen.
    Schweigend gingen sie weiter die Treppe hinunter. Es wurde

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