Die Rose der Highlands
Sie glaubte nicht, dass er darauf hereinfiele. Sollte sie ihn zu einem seiner Spiele herausfordern und hoffen, dass sie gewönne? Zu unsicher. Sie könnte ebenso gut verlieren. Der Nachmittag schleppte sich dahin, dass sie beinahe verrückt wurde, aber sosehr sie sich auch den Kopf zerbrach, ihr fiel keine Ablenkung ein.
Als es klopfte, öffnete sie die Tür. Donald brachte ihr Abendessen. Sie trat beiseite, damit er eintreten und das Tablett auf den Tisch stellen konnte. Einen Vorzug musste sie ihrer Gefangenschaft einräumen: Sie wurde ausgezeichnet verpflegt.
Sie dankte ihm lächelnd und fand sich, noch immer so schlau wie vorher, im Stillen damit ab, auch die heutige Nacht in ihrem Gefängnis zu verbringen.
»Ich muss mich um die Kleidung des Colonels kümmern, Miss«, brachte Donald seltsam stockend hervor, »und ich habe auch sonstige Pflichten vernachlässigt. Also muss ich entweder eine andere Wache vor Eurer Tür postieren oder mir Euer Versprechen geben lassen.«
»Welches?«
»Nicht zu fliehen.«
Sie nickte und lächelte.
Sie wusste, fliehen durfte sie nicht wegen Hamish, aber aufbegehrend sein schon. Als Donald gegangen war, horchte sie an der Tür. Seine Schritte entfernten sich. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt, glitt hindurch und lief zum alten Kloster hinüber.
Am Spätnachmittagshimmel zogen sich dunkelrote Wolkenbänder entlang, verhießen gutes Wetter.
Sie stand im Priorat, verschränkte die Arme vor der Brust in dem Bemühen, ihre Atmung zu verlangsamen. Ihr Herz schlug so laut, dass es wie Donner in ihren Ohren hallte.
Eine Mischung aus Angst, Vorfreude und Erregung ließ ihr Blut durch ihre Adern schießen. War es das, was ein Mann empfand, bevor er in die Schlacht zog, wenn er wusste, dass er sein Leben verlieren könnte und sich derart fürchtete, dass seine Knie schlotterten?
Sie hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich mit einem Willkommenslächeln um. Kein Rabe, nur ein Schaben auf dem Boden. Vielleicht ein Getier, oder vielleicht war es auch nur der Wind gewesen, der durch den Schutt tanzte. Während sie regungslos wartete, schien die Zeit zusehends langsamer zu vergehen, als wolle sie ihr Gelegenheit geben, ihr Vorhaben zu überdenken.
Die Engländer könnten sie gefangen nehmen. Das wäre schrecklich – aber was würde dann aus Hamish? Brächte sie ihn in Lebensgefahr?
Das Kratzen eines Steines auf Stein ließ sie zusammenzucken, doch sie ging dem Geräusch nach. Auf einmal begann sich eine der Schieferplatten unter ihren Füßen zu bewegen. Erschrocken trat sie zurück. Eine zweite wurde zur Seite geschoben, und aus der Öffnung tauchte ein Kopf und dann ein Rumpf und dann eine ganze Gestalt auf.
Ein Geist? Kein Geist, ein Mann. Ein Mann in Schwarz und mit einer Maske, die sein Gesicht zur Hälfte verbarg. Der Name, den sie ihm gegeben hatte, hätte nicht passender sein können. Rabe.
»Ich darf also nicht erfahren, wer Ihr seid?«
»Die Maske trage ich zu Eurem Schutz«, erwiderte er. »Falls Euch die Engländer verhören, könnt Ihr ehrlich sagen, dass Ihr mich nie gesehen habt.«
»Das würde ich auch sagen, wenn es anders wäre.«
»Aber ich will nicht, dass Euch etwas geschieht. Findet Euch damit ab.« Wie schon bei ihrer ersten Begegnung sprach er leise, doch sie konnte hören, dass es ihm ernst war.
Da sie fürchtete, dass er sonst ohne sie gehen würde, nickte sie zustimmend.
»Habt Ihr mich absichtlich warten lassen?«, fragte sie. »Um mir Gelegenheit zu geben, es mir noch anders zu überlegen?«
»Hat meine List gewirkt?«
»Beinahe«, gab sie zu. »Ich fürchte mich nicht gern.«
»Das tut niemand. Man muss es nur gut genug verbergen, dass es keiner merkt.«
»Was ist da unten?« Sie trat näher an die Stelle, an der er aus dem Steinboden gestiegen war. »Ein geheimer Raum?«
»Eine Treppe«, antwortete er. »Eines der Geheimnisse von Gilmuir.«
Sie horchte auf. »Geheimnisse?«
»Vielleicht bin ich ja auch eines davon. Seid Ihr bereit, in Geheimnisse eingeweiht zu werden, Leitis?«
Sie nahm die Herausforderung mit einem Nicken lächelnd an.
»Dann versprecht, dass Ihr niemandem verraten werdet, was ich Euch gleich zeige.«
»Ich verspreche es«, sagte sie, doch es war ihr plötzlich ein wenig bang. Was würde er ihr wohl zeigen?
Er schaute zum Gang hinüber. »Wartet Euer Wächter auf Euch?«
»Nein«, sagte sie. »Er ist anderweitig beschäftigt. Ich sollte dem Schlächter dankbar sein, dass er seinem Burschen so viel
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