Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rose der Highlands

Die Rose der Highlands

Titel: Die Rose der Highlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
Vom Netzwerk:
Möglichkeit, Zuflucht zu suchen, und im Wald wäre es bei Gewitter noch gefährlicher gewesen als im offenen Gelände.
    Leitis und die anderen folgten dem Pferdewagen paarweise nach. Es begann in Strömen zu regnen, und schnell verwandelte sich der vormals feste Untergrund in Schlamm. Es dauerte nicht lange, und der Wagen blieb stecken.
    »Was sollen wir tun?«, fragte Leitis, als Ian sich die Bescherung ansah. Es stand zu befürchten, dass ein Rad unter der Last brechen würde.
    »Wir können die Kinder tragen und die Alten reiten lassen«, meinte er.
    Leitis, die wie die Übrigen bis auf die Haut durchnässt war, trat mit ihm an den Wagen. Er stieg hinauf, und sie streckte die Hände nach einem Mädchen aus, das nicht älter als fünf Jahre sein konnte. Die Kleine scheute vor ihr zurück, aber als im nächsten Moment ganz in der Nähe ein Blitz vom Himmel zuckte, warf sie sich Leitis regelrecht in die Arme. Sie stellte sie behutsam auf den Boden und nahm dann das nächste Kind in Empfang, das Ian ihr herunterreichte. Als nur noch eine alte Frau und ein alter Mann im Wagen saßen, konnten sie das Gefährt aus dem Schlamm ziehen.
    Leitis nahm das kleine Mädchen wieder auf den Arm. Sie wünschte, sie hätte ein Umhangtuch gehabt, um die Kleine zumindest notdürftig gegen den Regen zu schützen.
    Allesamt bis auf die Haut durchnässt, empfanden sie den Wind, der mit dem Gewitter einherging, als bitterkalt. Jeder Erwachsene trug ein Kind auf dem Arm, Ian sogar Zwillinge, die augenblicklich Zutrauen zu ihm gefasst und die Ärmchen um seinen Nacken gelegt hatten.
    Es war gut möglich, dass einige der Kinder seit einer ganzen Weile keinen erwachsenen Mann mehr gesehen hatten, weil ihre Dörfer von der Welt abgeschnitten und ihre männlichen Verwandten nicht aus dem Krieg gegen England zurückgekehrt waren. Die beiden Jungen, die er auf den Armen trug, hatten vielleicht noch nie die Berührung einer Vaterhand gespürt, waren vielleicht noch nie von einer Männerstimme getröstet worden.
    Plötzlich zischte es, und im nächsten Augenblick fuhr ganz in ihrer Nähe ein Blitz in einen Baum. Er ging sofort in Flammen auf und schien zu erschauern, bevor er krachend umstürzte.
    Das Unwetter hielt für einen Moment inne, als wäre es bestürzt über sein eigenes Zerstörungswerk. Doch dann rollte der nächste Donner heran.
    Leitis drückte das kleine Mädchen noch fester an ihre Brust und hielt ihm das Ohr zu.
    Plötzlich tauchte Gilmuir auf, ein dunkler Schatten vor dem dunklen Horizont. Noch eine Meile, und sie wären im Warmen und Trockenen. Aus diesem Gedanken schöpfte Leitis die Kraft, den Rest des Weges zu bewältigen, der jetzt bergan führte.
    Ihre Beine schmerzten bei jedem Schritt durch den Schlamm. Das kleine Mädchen, das ihr unter Tränen anvertraut hatte, dass sein Name Annie sei, hatte schon vor einer ganzen Weile die Arme um ihren Hals geschlungen und das Gesicht an ihre Kehle gedrückt, und der warme Atem des Kindes hatte eine seltsam tröstende Wirkung auf sie.
    Der Saum ihres Kleides schleifte schwer hinter ihr her, und sie war noch nie in ihrem Leben so erschöpft gewesen. Als sie sich ausgemalt hatte, den Engländern zu trotzen und Meisterstücke der Rebellion zu vollbringen, waren in ihrer Phantasie gänzlich andere Dinge geschehen als diese. Was sie hier brauchte, war nicht Tollkühnheit, sondern Beharrlichkeit. Sie musste nichts anderes tun, als immer wieder einen Fuß aus dem Schlamm zu ziehen und vor den anderen zu setzen, sich den Regen vom Gesicht zu wischen und beruhigend auf das Kind in ihren Armen einzumurmeln. Hier ging es nicht um große Taten, nur um Geduld.
    Was also war das wahre Wesen des Mutes? Das Gefühl zu haben, keinen einzigen Schritt mehr weitergehen zu können und doch irgendwie die Kraft aufzubringen, es zu tun? Eine Aneinanderreihung kleiner Taten? Wenn das Mut war, dann besaßen die Schotten ihn im Überfluss. Und auch Hartnäckigkeit. Den schieren Willen, zu leben und den Umständen zum Trotz zu gedeihen. Und da wusste sie, dass sie zurechtkommen würden, wo immer sie sich auch zu leben entschieden, weil sie den Willen dazu in sich trugen. Doch es tat ihr für ihr Land weh, dass seine Bewohner es verließen. Das war das größte Verbrechen, das sie den Engländern anlastete. Nicht, dass sie gesiegt hatten, sondern, dass die Art, wie sie die Besiegten ihren Sieg spüren ließen, ein ganzes Land verändern würde.
    Als hätte es sie trotz des Gewitters kommen hören, erwachte das

Weitere Kostenlose Bücher