Die Rose des Propheten 2 - Das Buch Quar
verurteilt war. »Du bist dir doch darüber im klaren«, fügte Meryem leise hinzu, »daß der Spiegel die Fähigkeit besitzt, alle Gesichter und die in der Vergangenheit gesprochenen Worte genauso wiederzugeben, wie sie jetzt übermittelt werden?«
»Ich bin mir darüber im klaren! Nun gut, ich gebe dir die Genehmigung«, sprach Yamina knapp. »Aber nur, wenn alle anderen Mittel versagt haben. Die Männer denken mit ihren Lenden. Die Ehre wird dem Kalifen nicht mehr viel bedeuten, wenn er dich erst einmal in den Armen hält. Und das Ehebett ist nicht das einzige Bett, in dem man etwas besprechen kann, meine Liebe. Oder könnte es sein, daß dein Zauber verblaßt? Vielleicht besitzt diese Zohra oder die andere Frau mehr Reize als du?«
»Ich habe in keiner Weise versagt!« gab Meryem verärgert zurück. »Ich bin es, die er liebt. Er verbringt seine Nächte allein.«
»Dann sollte es für dich keine Schwierigkeit darstellen, ihn zu verführen, seine Nächte in deinem Zelt zu verbringen, Meryem, mein Kind.« Yaminas Stimme wurde hart. »Vergiß nicht, der Sand rieselt durchs Stundenglas. Der Emir wird immer ungeduldiger. Er sprach bereits von seiner Enttäuschung über mich. Warte nicht, bis diese Enttäuschung zur Ungnade heranreift.«
Der Spiegel in Meryems Hand verdunkelte sich – aber nicht so sehr wie das finstere Gesicht des Mädchens. Hinter ihrem Ärger und ihrem verletzten Stolz regte sich unterschwellige Angst. Anders als eine Ehefrau war eine Konkubine der Gnade ihres Herrn vollkommen ausgeliefert. Der Emir würde ihr zwar nie ein Leid zufügen – schließlich war sie immer noch die Tochter des Herrschers –, aber er hatte die Freiheit, sie wegzugeben, wie man einen Singvogel verschenkte. Und da gab es diesen einäugigen, fetten Hauptmann – ein Freund des Generals, der sein eines Auge auf sie geworfen hatte…
Nein, Meryem war fest entschlossen, Khardan zu erobern. Noch nie hatte sie an der Wirkung ihrer Reize gezweifelt – ihnen waren schon viele Männer erlegen, nicht nur der Emir. Aber dieser Mann, der Kalif, war anders. Er stellte die seltene Ausnahme von Yaminas Regel dar. Es würde nicht einfach werden, ihn zu verführen. Dennoch konnte sie ihr Ziel erreichen, solange sie vorsichtig blieb und nicht die Hure spielte, sondern das unschuldige, liebliche Opfer.
Nachdem sie den magischen Spiegel weggeräumt hatte, ging die Konkubine des Emirs zu Bett und schlief mit einem süßen, wenn auch nicht gerade unschuldigen Lächeln auf dem Gesicht ein.
Der andere Neuling im Harem führte ein beinahe genauso leichtes Leben wie Meryem, wenn auch nicht aus den gleichen Gründen.
Unter den Nomaden war das Leben eines Verrückten nicht unangenehm. Mathew lebte nicht länger in der ständigen Angst vor einem schrecklichen Tod – nur den Biß der Qarakurt fürchtete er, denn Pukahs Beschreibung der tödlichen schwarzen Spinne verfolgte ihn, obwohl er noch nie eine gesehen hatte. Man mied ihn nicht, wie er ursprünglich befürchtet hatte, und sperrte ihn auch nicht ein, um ihn von den anderen fernzuhalten. Er mußte zugeben, daß die Barbaren bei der Behandlung der Verrückten menschlicher waren als die Menschen seiner Heimat. Dort sperrte man die Geisteskranken an widerwärtigen Orten ein, die kaum besser waren als die Gefängnisse, meistens sogar schlimmer.
Die Nomaden gingen ihm aus Freundlichkeit aus dem Weg – immer sehr vorsichtig, aber dennoch freundlich. Sie sprachen mit ihm, verbeugten sich, wenn sie vorbeikamen oder brachten ihm kleine Geschenke – Speisen wie Reisbälle oder Shish Kebab. Einige der Frauen hatten bemerkt, daß er keinen eigenen Schmuck besaß und gaben ihm etwas von ihrem. Mathew wollte alles zurückgeben, doch Zohra erklärte ihm, daß die Frauen auf diese Weise dafür sorgten, daß er etwas eigenes Geld besaß, falls er einmal zur ›Witwe‹ werden sollte.
Die Kinder schauten ihn mit großen Augen an, und oft kamen Mütter mit der Bitte zu ihm, ihre Neugeborenen für einen kurzen Augenblick auf den Arm zu nehmen. Zuerst rührte Mathew all die Aufmerksamkeit, und er dachte schon, er habe diese Menschen falsch eingeschätzt, die er anfänglich für ungeschlachte Wilde gehalten hatte. Eines Tages öffnete Zohra ihm jedoch die Augen, so daß er die Wahrheit erkannte.
»Es freut mich, daß deine Leute mich offenbar mögen«, bemerkte Mathew ihr gegenüber schüchtern, als sie eines Morgens zur Oase wanderten, um Wasser für den Tagesbedarf zu schöpfen.
»Sie mögen dich
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