Die Rose des Propheten 3 - Das Buch der Unsterblichen
strecken wollte?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hat sie sie geschlagen.«
»Warum hat deine Mutter nicht vernünftig mit dem Kind gesprochen und ihm gesagt, daß das Feuer ihm weh tun wird?«
»Man kann doch mit einem Zweijährigen noch nicht vernünftig sprechen!« höhnte Achmed.
»Aber einen Hieb aufs Handgelenk versteht das Kind?«
»Klar. Ich meine, ich schätze schon.«
»Hat sie es verstanden, weil es ihr Schmerz bereitete?«
»Ja.«
»Und hat deine Mutter es genossen, dem Kind Schmerzen zuzufügen?«
»Wir sind keine Barbaren, gleichgültig, was du über uns denkst!« erwiderte Achmed hitzig, weil er glaubte, darin einen Angriff auf sein Volk zu erkennen.
»Das habe ich nicht gesagt. Weshalb hat deine Mutter sich entschieden, ihrem Kind Schmerz zuzufügen?«
»Weil sie um sie bangt!«
»Ein Klaps aufs Handgelenk tut weh, aber nicht so stark wie das Feuer.«
»Das ist ein dämliches Gespräch!« Launisch nahm Achmed kleine lose Steine auf und fing an, sie auf den Hof zu schleudern.
»Sei geduldig«, riet ihm der Imam sanft. »Wir sehen zwar den Weg zu unseren Füßen, aber nicht sein Ende. Dennoch gehen wir ihn, sonst würden wir nirgendwohin gelangen. Also – das Kind greift nach dem Feuer. Die Mutter schlägt dem Kind auf das Handgelenk und sagt nein. Bis das Kind fähig ist zu begreifen, daß das Feuer es verbrennen wird, beschützt der kleinere Schmerz das Kind vor dem größeren. Ist das richtig?«
»Etwas in der Art, nehme ich an.« Achmed hatte schon immer gehört, daß Priester verrückt seien. Jetzt hatte er den Beweis dafür.
Der Imam streckte die Hand aus und berührte den jungen Mann an der Stirn. »Begreifst du jetzt?« fragte Feisal und fuhr mit den Fingern leicht über die Wunde.
Achmed erstarrte mitten im Wurf und musterte den Priester erstaunt. »Was soll ich begreifen?«
Feisal lächelte, seine Augen strahlten heller als die Sonne von Dohar.
»In geistigen Dingen bist du das Kind. Dein Gott, der falsche Gott Akhran, ist das Feuer – strahlende Farben und tänzelndes Licht. Wie das Feuer ist er ein gefährlicher Gott, Achmed, denn er wird deine Seele verbrennen und nichts als Asche zurücklassen. Der Emir und ich sind die Eltern, die dich vor ewigem Schaden bewahren müssen, mein Sohn. Wir haben versucht, vernünftig mit dir zu reden, aber du hast unsere Worte nicht verstanden. Um dich vor dem Inferno zu retten, mußten wir daher handgreiflich werden, dir auf die Hand schlagen…«
»Und was ist mit jenen, die er ein wenig zu hart geschlagen hat?« rief Achmed zornig. »Jene, die dabei gestorben sind!«
»Niemand bedauert den Verlust von Leben mehr als ich«, antwortete der Imam, und seine mandelförmigen Augen brannten sich in Achmeds. »Es war dein Volk unter der Führung deines starrsinnigen Bruders, das uns angegriffen hat. Wir haben uns nur verteidigt.«
Achmed sprang auf die Beine und begann fortzugehen, den Zellen entgegen.
»Glaube mir, Achmed!« rief der Imam ihm nach. »Der Emir hätte eure Stämme vernichten können! Er hätte euch auslöschen können. Das hätte weitaus weniger Ärger bedeutet. Aber das war weder seine Absicht noch die meine!«
»Ihr habt uns als Geiseln genommen!« Achmed warf die Worte über die Schulter.
Geschmeidig erhob sich der Imam und ging hinter dem jungen Mann her.
»Geiseln? Wo ist denn unsere Lösegeldforderung? Hat man euch in die Sklavenblocks verbracht? Euch gefoltert, euch geschlagen? Ist eine eurer Frauen geschändet worden, wurde eine belästigt?«
»Vielleicht nicht.« Achmed verlangsamte seinen heftigen Schritt über den Hof. »Sahne, die auf sauer gewordener Milch treibt! Was wollt ihr von uns?«
Der Imam blieb vor dem jungen Mann stehen und breitete die Arme aus. »Wir wollen nichts von euch. Wir wollen nur geben.«
»Was geben?«
»Die Sahne, um deine Worte zu verwenden. Wir wollen sie mit euch teilen.«
»Und was ist diese Sahne?« Der junge Mann klang höhnisch.
»Wissen. Verständnis. Der Glaube an einen Gott, der wahrhaftig für dich und dein Volk sorgt und es liebt.«
»Akhran sorgt schon für sein Volk!«
Achmeds Ton klang zwar abwehrend, doch Feisal wußte, daß es die Abwehr eines kleinen Kinds war, das auf die Hand einschlug, die ihm weh getan hatte, nicht die eines Manns, der seine feste Überzeugungen hatte. Der Priester legte Achmed die Hände auf die Schultern. Der Imam spürte, wie der junge Mann zwar zusammenzuckte, merkte aber auch, daß die Berührung der Freundschaft dem einsamen
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