Die Rose des Propheten 3 - Das Buch der Unsterblichen
dafür gesorgt, selbst wenn Majiid – Achmeds Vater, der Scheich der Akar – es vergessen hätte. Majiid hätte es sogar sehr wahrscheinlich vergessen; er hatte viele Söhne und setzte seinen Stolz in einen einzigen davon – in seinen Ältesten, Khardan.
Achmed machte das nichts aus. Auch er bewunderte Khardan aus ganzem Herzen, und in vielerlei Hinsicht war Khardan ihm mehr ein Vater als der grobe, polternde, leicht aufbrausende Majiid. Khardan hätte schon dafür gesorgt, daß dies für seinen jüngeren Bruder ein ganz besonderer Tag geworden wäre. Ein Geschenk – vielleicht einen der juwelenbesetzten Dolche des Kalifen selbst. Einmal, nur für sie beide, in Khardans Zelt, ein Gelage, bis sie nicht mehr aufrecht stehen konnten, dazu Pukahs Geschichten von blutsaugenden Gulen, den fleischfressenden Delhan oder den betörenden und tödlichen Ghaddar.
Der Dieb in der Nachbarzelle begann im Wahn zu toben. Ein Schluchzen entrang sich Achmeds Kehle. Er sackte auf dem Stroh zusammen, das den Fußboden bedeckte, vergrub das Gesicht in seiner Armbeuge und weinte in einsamer, bitterer Qual.
»Mein Sohn.«
Die sanfte, mitfühlende Stimme legte sich wie lindernder Balsam über Achmeds blutende Seele. Erschrocken – der junge Mann war so sehr in seiner Pein verloren, daß er das Geräusch des Schlüssels oder das Öffnen der Tür nicht vernommen hatte – setzte sich Achmed auf und wischte sich hastig die Spuren seiner Tränen aus dem Gesicht. Mißtrauisch musterte er die schlanke Gestalt des Priesters, als der seine Zelle betrat. Achmed kauerte auf der schmutzigen Matratze und tat, als würde er sich brennend für eine Fuge im Mauerwerk interessieren.
»Ich höre, daß du in der Schlacht verwundet wurdest. Hast du Schmerzen, mein Sohn?« fragte der Imam sanft. »Soll ich nach den Ärzten schicken?«
Schniefend wischte sich Achmed die Nase am Ärmel seiner Robe und starrte wütend geradeaus.
Der Priester lächelte innerlich. Er spürte instinktiv, daß er genau im richtigen Augenblick eingetroffen war, und er dankte Quar dafür, daß er ihn rechtzeitig zu dem leidenden Lamm geführt hatte, um es vor den Wölfen zu erretten.
»Laß mich deine Verwundung untersuchen«, sagte der Imam, obwohl er sehr genau wußte, daß es nicht die Kopfwunde war, die dem jungen Mann die Tränen in die Augen trieb.
Achmed senkte den Kopf, doch Feisal tat, als würde er es nicht bemerken. Er entfernte den Haik und untersuchte den Schnitt. Während der Schlacht war Achmed von der Breitseite einer Schwertklinge getroffen worden. Der Hieb hatte die Haut aufplatzen lassen und ihn bewußtlos geschlagen, so daß er einen Tag danach zwar schreckliche Kopfschmerzen aber keine ernsthafte Verletzung gehabt hatte.
»Nun ja«, bemerkte der Imam, »da wird eine Narbe zurückbleiben.«
»Das ist gut!« sagte Achmed plötzlich heiser. Er mußte irgend etwas sagen. Die Aufmerksamkeit, die der Priester ihm widmete, und die sanfte Berührung seiner Finger hatten ihn beinahe wieder in Tränen ausbrechen lassen. »Mein Bruder hat viele solcher Narben. Das ist die Kennzeichnung eines Kriegers.«
»Du klingst wie der Emir«, meinte Feisal, und sein Herz klopfte vor Freude. Viele Male hatte er Achmed besucht, während der junge Mann kein Wort mit ihm sprach und ihn nicht einmal anblickte. Der Imam glättete das schwarze Haar. »Für mich sind solche Narben das Merkmal des Wilden. Wenn der Mensch erst wahrhaft zivilisiert ist, werden alle Kriege aufhören, und wir leben in Frieden. So.« Er reichte ihm das Kopftuch zurück. »Die Wunde verheilt sauber. Doch wird sie eine weiße Narbe auf deiner Kopfhaut hinterlassen. Das Haar wird dort nicht nachwachsen.«
Achmed hielt das Tuch in den Händen und drehte es zwischen den Fingern. Er legte es nicht wieder an. »Zivilisiert? Das mußt ausgerechnet du sagen. Das da«, er deutete auf seinen Kopf, »ist das Werk deiner ›Wilden‹!«
Der Imam verbarg sorgfältig seine Freude, indem er sich in der Zelle umsah. Es war unmöglich hier zu sprechen. Der verstümmelte Dieb in der Nachbarzelle kreischte im Fieber. »Kommst du mit mir nach draußen und leistest mir bei einem Spaziergang Gesellschaft, Achmed?«
Der junge Mann musterte ihn in finsterem Mißtrauen.
»Es ist ein schöner Tag«, erklärte der Imam. »Der Wind kommt aus dem Osten.«
Der Osten. Die Wüste. Achmed senkte den Blick. »Also gut«, sagte er mit leiser Stimme. Er stand auf und folgte Feisal durch die Tür, schlurfte den langen, dunklen Gang
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