Die Rose des Propheten 6 - Das Buch Promenthas
Pergament zu zappeln und zu kriechen, um ins Wasser herabzustürzen. Das plötzliche Stocken der anderen sagte ihm, daß zumindest die meisten Frauen auf dem Gefängnishof dasselbe erlebten.
Die Worte fielen in die Schale, das Wasser begann zu brodeln, und dann hob sich, ganz langsam, eine Wolke in die Höhe. Mathew ließ den Blick über den Hof schweifen. Der Jubel und das Stampfen der Füße sagten ihm, daß die Menge inzwischen auf Sichtweite an das Gefängnis herangekommen war. Der junge Hexer drehte sich nicht um, sondern stand weiter mit dem Gesicht zu seinen Leuten da und sang. Nun konnte er bereits Hunderte von Tentakeln aus Nebel sehen, die sich in die Luft hoben. Er hörte das tiefe Murmeln der Ehrfurcht unter den Männern, das sich mit den entzückten Schreien der Kinder vermengte, die von der Magie begeistert waren, die ihre Mütter da vollzogen.
Der Nebel trieb in einer Spirale von Mathews Becher hoch und umkreiste ihn wie eine freundliche Schlange.
Auch tun die Frauen zogen sich die schützenden Schlingen Suls. Der Nebel dämpfte jedes Geräusch und ließ die schrecklichen Schreie der Menschenmenge harmlos scheinen. Die Nomaden verloren ihre Furcht und scharrten sich zusammen.
Die Nebelwolke schwoll an und breitete sich mit einer Schnelligkeit aus, die Mathew erstaunte. Er hatte gedacht, daß sie von Glück sagen konnten, wenn sie nur jede Frau und jene, die sich in ihrer Nähe hielten, umhüllte. Doch der im Mondlicht gespenstisch leuchtende Nebel schob und wälzte sich über den Hof mit einer Zielstrebigkeit, als suchte er etwas und würde nicht zufrieden sein, bevor er dieses Ziel nicht erreicht hatte.
Doch dann bohrte sich ein Stachel des Zweifels in Mathew. Er mußte wieder an die Warnung denken, die in roter Tinte im Buch geschrieben stand. Eine große Gruppe von Magi sollte niemals diesen Zauber ausführen, es sei denn unter den dringendsten Umständen. Und plötzlich erinnerte er sich der Worte, die darauf folgten, Worte, die in seinem Land völlig bedeutungslos, ja fast lächerlich gewirkt hatten:
Man stelle eine reichliche Zufuhr an Wasser sicher.
Jetzt begriff Mathew. Er wußte, was er erschaffen hatte, und weshalb die Warnung in dem Buch geschrieben war. Klar und entsetzt sah er, was nun geschehen mußte, doch konnte er es nicht mehr aufhalten.
Der magische Nebel kroch über den Boden – zarte weiße Arme mit dünnen, langen, gekrümmten Fingern, geführt von einer tastenden Intelligenz. Einige der Gefängniswärter hatte die Beine in die Hand genommen. Andere waren von der Mauer gesprungen und versuchten die Tore zu öffnen, die sich aus irgendeinem Grund aber nicht bewegten – nicht solange die Körpermasse eines unsichtbaren Usti dagegenlehnte. Der Kommandant stand oben auf der Befestigung und beschimpfte seine Wachen wegen ihrer Langsamkeit oder rief dem Mob pompös zu, daß er hier das Sagen habe.
Der von den Soldatenpriestern angeführte Mob ignorierte ihn. Die Leute stürmten die Mauern und begannen damit, sich gegen die Holztore zu werfen, um sie dadurch aufzubrechen.
Der Kommandant gewann langsam den Eindruck, daß ihm doch niemand zuhörte und daß es vielleicht besser wäre, sich zu entfernen. Da ertönte ein panischer Schrei eines seiner Wärter, und er fuhr herum, um mit hervorquellenden Augen auf den Gefängnishof hinunterzublicken.
Seine Gefangenen waren fort! Verschwunden in einer Wolke, die anscheinend vom Himmel gefallen war und sie verschluckt hatte. Der Kommandant traute seinen Augen nicht. Er spähte in den wabernden Nebel hinein, konnte aber nicht das leiseste Lebenszeichen ausmachen. Sein fetter Leib begann zu zittern, bis ihm die Zähne klapperten. Er hegte keinen Zweifel daran, daß der Gott dieser Leute zu ihrer Rettung herbeigeeilt war, und jedermann wußte, daß Akhran eine rachsüchtige, zornige Gottheit war. Die Menschenmenge warf sich noch immer gegen die Tore; deren Holz begann unter dem Ansturm Hunderter, die dagegendrückten, zu splittern und zu brechen.
Die Wärter auf dem Gefängnishof musterten furchterfüllt den Nebel, dessen zarte Finger nach ihnen zu greifen schienen. Usti und Fedj, denen vor der Magie Suls fast ebensosehr grauste wie den Wärtern, hatten ihre Posten verlassen und blickten einander hilflos an. Verzweifelt versuchten die Wärter die Tore aufzusperren. Doch die Menschen auf der anderen Seite drückten dagegen, und so blieb die Tür verschlossen. Die Wärter konnten nicht fliehen und mußten in stummem Entsetzen mitansehen,
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