Die Rose des Propheten 6 - Das Buch Promenthas
würde.
Wahrend er sich wieder auf den Bauch rollte, um dem jungen Mann die Gelegenheit zu geben sich zu fangen, meinte Khardan mit gelassener Beiläufigkeit: »Und jetzt sag mir, Mat-hew, wie du diese Vision deutest.«
14
Mathew wischte sich die Augen und tat einen tiefen Atemzug, dankbar für die Gelegenheit, das Thema zu wechseln.
»In der Vision ging es, wie du dich erinnerst, um zwei Falken…«
»Schon wieder Vögel«, sagte Khardan.
»… die feindliche Heere anführten«, fuhr Mathew streng fort, um Khardan an die Ernsthaftigkeit ihres Unterfangens zu gemahnen.
»Ich und der Emir.«
»Die Falken sahen einander sehr ähnlich«, sagte Mathew. Säuberlich verband er den verwundeten Arm des Manns. »Diese Falken stehen für dich und deinen Bruder.«
»Achmed?« Besorgt wandte Khardan den Kopf.
»Lieg still. Ja, Achmed.«
»Aber der könnte doch nicht an der Spitze eines Heers reiten!« höhnte Khardan. »Dafür ist er zu jung.«
»Aber nach allem, was ich gehört habe, reitet er mit dem Emir, der ein Heer anführt. Diese Visionen sind nicht immer wörtlich zu verstehen, das darfst du nicht vergessen. Sie stellen das dar, was das Herz sieht, nicht das Auge. Wenn du gegen das Heer des Emirs kämpftest, wären deine Gedanken zwar bei dem Mann Qannadi, der an der Spitze seiner Truppen reitet, aber dein Herz wäre doch wohl bei deinem Bruder, nicht wahr?«
Khardan kauerte und legte sich wieder in die Kissen, das Kinn auf die Arme gestützt.
»So«, sagte Mathew, während er den Verband richtete. »Ist er zu fest? Nicht? Nun zur Schlacht. Beide Seiten erleiden schwere Verluste. Es gibt viele Opfer. Es wird ein blutiger Krieg.« Seine Stimme stockte. »Einer der Falken stirbt…«
»Und?« setzte Khardan nach.
»Der Überlebende wird zu einem großen Helden. Er wird mit den Schwingen von Adlern emporsteigen. Alle möglichen Leute werden unter sein Banner eilen, und er wird den Kaiser von Tara-kan herausfordern und schließlich als Sieger hervorgehen, mit einer goldenen Krone und um den Hals eine goldene Kette.«
»Also…« Khardan vergaß für einen Augenblick seine Wunde, zuckte mit den Schultern und schnitt eine schmerzerfüllte Grimasse. »… der Sieger wird zu einem Helden.«
»Ich habe nicht ›Sieger‹ gesagt«, versetzte Mathew sanft, »ich habe gesagt ›Überlebender‹.«
Es brauchte eine Weile, bis er die Wahrheit begriff. Mit langsamen Bewegungen setzte Khardan sich auf, sah dem jungen Zauberer ins Gesicht, der ihn mit ernster und bekümmerter Miene musterte. »Du sagst damit, Mat-hew, daß wenn mein Bruder und ich in der Schlacht aufeinandertreffen, einer von uns sterben wird.«
»Ja, das legt die Vision nahe.«
»Und der andere wird… Kaiser?« Khardan sah ihn finster und ungläubig an.
»Natürlich nicht sofort. Ich habe den Eindruck, daß noch viele, viele Jahre vergehen werden, bevor das geschieht. Aber ansonsten – ja, der Überlebende wird schließlich eine Stellung von großer Macht und Reichtum und gewaltiger Verantwortung einnehmen. Vergiß nicht, der Falke trägt nicht nur die goldene Krone, sondern auch noch die goldene Kette.«
Khardans Gedanken schweiften hinaus, zu seinem Volk und zu jenen, die zu ihm gekommen waren. Erst jetzt, da die Nacht ihren Zenit schon lange überschritten hatte und sich dem Morgen zuneigte, begannen sie daran zu denken, ins Bett zu gehen. Zur Morgendämmerung würde der Prophet von Akhran vor einer weiteren Schlange von Männern und Frauen stehen, die mit ihren Wünschen und Begierden, ihren Hoffnungen und Ängsten kommen würden.
»Vielleicht kann er ihnen helfen«, sagte Khardan mit einem scheuen, zögernden Stolz. »Vielleicht wurde er, obwohl er nicht klug oder gebildet ist, auserwählt, ihnen zu helfen, und er kann nicht leichtfertig aufgeben, was ihm gewährt wurde.«
»Es ist ganz bestimmt seine Entscheidung«, meinte Mathew. »Ich wünschte nur, ich wäre eine größere Hilfe«, fügte er wehmütig hinzu.
Khardan sah ihn an und lächelte. »Die bist du schon gewesen, Mat-hew. Er wünscht sich nur, er wäre so weise wie du; dann würde er wissen, daß er das richtige tut.« Der Kalif erhob sich und wollte gehen, er wickelte sich die Falten seines Kopftuchs ums Gesicht, damit er sich durchs Lager bewegen konnte, ohne bedrängt zu werden. »Da du so weise bist, kannst du mir vielleicht noch eine weitere Frage beantworten.« Im Eingang blieb er stehen.
»Ich weiß nicht, ob ich weise bin, aber ich werde immer versuchen dir zu helfen,
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