Die Rose des Propheten 6 - Das Buch Promenthas
plünderten. Er würde sich mit den starken Bewohnern der Großen Steppe verbünden. Zweifellos würde der Gebieter der Schwarzen Paladine bereit sein, seine eigenen Kräfte in die Schlacht zu werfen.
Und dann, wenn er erst einmal stark war, würde er den Kaiser angreifen.
Ja, gestand sich Khardan beinahe zögerlich ein, es ließe sich machen. Mathews Vision war doch nicht so weit hergeholt und wirr, wie es dem Kalifen in den frühen Stunden der Dämmerung erschienen war. Er könnte Kaiser von Sardish Jardan werden, wenn er wollte. Er würde in einem herrlichen Palast mit einem Prunk leben, den er sich im Augenblick nur schwach vorstellen könne. Die schönsten Frauen der Welt würden ihm gehören. Seine Söhne und Töchter würden in die Hunderte zählen. Kein Luxus wäre ihm zu gut. Wasser – er würde jede Menge Wasser zu vergeuden haben. Und was seine Pferde betraf, so würde die ganze Welt kommen und sich darum prügeln sie zu kaufen, denn er könnte sich die allerbesten Zuchttiere leisten und sie mit üppigem Gras füttern und den ganzen Tag damit zubringen, ihre Ausbildung zu überwachen.
Doch nein, nicht den ganzen Tag. Da würde es Audienzen geben und Korrespondenz mit anderen Herrschern und seinen Heerführern. Wahrscheinlich, so vermutete Khardan, würde er lernen müssen zu lesen, da er es nicht wagen würde, sich auf die Übersetzung seines Briefwechsels durch andere zu verlassen. Er würde sich Feinde machen – mächtige Feinde. Es würde Vorkoster geben, denn er würde es nicht wagen, irgend etwas zu trinken oder zu essen, das nicht von irgendeinem armen Kerl vor ihm aus Furcht vor Vergiftung probiert worden war. Leibwächter würden jeden seiner Schritte überwachen.
Natürlich würde er auch Freunde gewinnen, doch die wären in mancherlei Hinsicht schlimmer als alle Feinde. Boten, die ihm auflauerten, Wesire, die für ihn intrigierten, Edelleute, die ihn ihrer größten Liebe versicherten. Und alle bereit, über ihn herzufallen und ihm die Kehle durchzuschneiden, sollte er irgendwelche Anzeichen von Schwäche zeigen. Vielleicht würden seine eigenen Söhne aufwachsen, um Pläne für seinen Sturz zu schmieden, während seine Töchter verschenkt wurden wie andere schöne Gegenstände, um irgendeines Mannes Gunst zu erlangen.
Zohra. Er sah sie als Hauptfrau eines von Frauen wimmelnden Serails, deren Namen er nicht einmal alle behalten konnte. Er sah sie stark in ihrer Magie werden, und er wußte, daß auch dies ihm große Macht bescheren würde. Und dann war da Mathew – der weise Berater –, immer in der Nähe, immer hilfreich und doch niemals aufdringlich.
Ein polterndes Geräusch unterbrach seinen Tagtraum. Blinzelnd hob er die von Erschöpfung brennenden Augen und sah, wie sein Vater ihn anstarrte. »Nun?« sagte Majiid. »Reiten wir heute nacht nach Kich? Oder willst du in dein Bett zu deinen Tänzerinnen zurückkehren?« Seine lüsterne Miene machte deutlich, was er seinem Sohn in der Nacht unterstellte.
Khardan antwortete nicht sofort. Vor seinem geistigen Auge sah er nicht nur den prunkvollen Palast oder die Hunderte von Frauen oder den unschätzbaren Reichtum. Er schaute auch seinen jüngeren Bruder, der mit tränenerstickter Stimme den Namen seiner Mutter flüsterte.
Es ließ sich nicht ändern. Achmed hatte seinen Weg gewählt, und Khardan einen anderen.
»Wir reiten in den Krieg«, sagte er.
Eine Woche war vergangen. Der Tag dämmerte über Kich heran. Das Licht der Sonne hatte kaum mehr als ein blutrotes Glühen am Horizont verteilt, als der Ruf eines Wachtturmpostens dafür sorgte, daß ein Hauptmann herbeigelaufen kam, um selbst nachzusehen. Man schickte einen Boten an den Emir, der seiner jedoch nicht bedurfte, weil er aus seinem eigenen Fenster geblickt und alles selbst mitbekommen hatte.
Er hatte bereits seine Befehle erteilt.
Unten in der Kasbah herrschte Verwirrung, als die Soldaten sich vorbereiteten. Panik tobte in der Stadt, doch auch diese Aufregung hatte Qannadi soweit es ging unter Kontrolle: Männer, Frauen und ältere Kinder bewaffneten sich und bereiteten sich darauf vor, gegen die eindringenden Horden zu kämpfen.
»Schick nach Achmed«, sagte Qannadi zu Hasid, und der alte Soldat machte sich ohne weitere Fragen auf den Weg.
Abul Qasim Qannadi schritt zu dem Fenster hinüber und blickte über die Ebene auf die niedrigen Hügel. Eine Linie aus Männern, einige auf schnellen, furchtlosen Wüstenpferden, andere auf langbeinigen Rennkamelen, zog sich über die
Weitere Kostenlose Bücher