Die Rose des Propheten 6 - Das Buch Promenthas
stolzer auf ihn als auf gewisse andere Falken, die ich ebenfalls großgezogen hatte. Immer wieder flog dieser Falke von meinem Handgelenk davon und schoß an den Himmel, und doch kehrte er stets wieder zu mir zurück, und ich war stolz, ihn zu Hause willkommen zu heißen.
Und dann kam der Tag, da der Falke zurückkehrte, und das Handgelenk, das er kannte, war still und kalt.« Achmed packte Qannadis Hand und hätte etwas gesagt, doch der Emir bedeutete ihm zu schweigen und fuhr fort. »Der Falke breitete die Flügel aus und hob sich in die Lüfte. Er flog immer höher und höher, so hoch, wie er es sich früher nicht einmal vorgestellt hatte. Ich blickte hinauf und sah, wie das Gold der Sonne seinen Kopf berührte, und ich schloß zufrieden meine Augen.
Ich wünschte, ich könnte deine Zukunft sehen, mein Falke«, fuhr Qannadi sanft fort, »doch irgend etwas sagt mir, daß dem nicht so sein soll. Wenn es nicht diese Schlacht ist, so wird eine andere mein Leben einfordern.« Oder der Dolch des Attentäters. Es gab welche unter Quars Priesterschaft – ganz zu schweigen von Qannadis Frau Yamina –, die ihm die Schuld für Feisals Tod gaben. Doch das behielt er sorgfältig für sich. »Vergiß nie, daß ich stolz auf dich bin, und so ernenne ich dich von diesem Augenblick an zu meinem Sohn und Erben.«
Achmed starrte sprachlos vor sich hin, dann schüttelte er den Kopf.
»Meine Entscheidung ist gefallen«, erwiderte Quannadi. Er deutete auf den Lederbeutel. »Es ist alles darin, mein Testament in vorgeschriebener Form unterschrieben und bezeugt, alles rechtlich einwandfrei. Natürlich…« Er lachte wehmütig. »… werden die bezaubernden Söhne meiner Lenden – jedenfalls behaupten meine Frauen, daß sie aus meinen Lenden stammten –, sich niederkauern und heulen, bevor sie ihr Bestes tun, um ihre Zähne in dein Fleisch zu schlagen. Laß dich davon nicht abhalten! Jetzt, da der Imam fertig ist, denke ich schon, daß du mit ihnen und ihren Müttern zurechtkommen kannst. Kämpfe gegen sie und wisse, daß du meinen Segen hast, Junge!«
»Das werde ich, Gebieter«, murmelte Achmed benommen.
»Wir senden Hasid ein Testament im Tempel des Khandar niederzulegen. Er ist der einzige, dem ich noch vertraue. Natürlich wird alles geheimgehalten. Mein Reichtum ist beachtlich und den Preis einer vergifteten Weinflasche wert. Nun weiß ich zwar, daß du dir weder aus Gold noch aus Ländereien etwas machst. Aber eines Tages wirst du das tun. Eines Tages wirst du dafür eine Verwendung finden.«
Qannadi erhob sich von seinem Schreibtisch, nahm seinen Helm und den Lederbeutel auf. Achmed war ihm dabei behilflich das Schwert anzulegen.
»Und jetzt bereiten wir uns besser darauf vor, diesem sogenannten Propheten eines zerlumpten Gotts gegenüberzutreten. Ich muß zugeben, mein Sohn, daß ich manchmal den Imam vermisse. Es wäre sicherlich sehr interessant zu wissen, was in diesem Augenblick im Himmel eigentlich los ist.«
Das Buch Sul
1
Im Himmel stand nicht alles zum besten.
Einmal mehr waren die Einundzwanzig zusammengerufen worden. Einmal mehr trafen sie sich auf dem Gipfel des Bergs am Boden der Welt. Einmal mehr stand ein jeder von ihnen in seiner eigenen Facette des Juwels des Sul, von wo er die anderen aus der Sicherheit der eigenen vertrauten Umgebung heraus betrachten konnte.
Promenthas stand in seiner großen Kathedrale, umringt von seinen Engeln und Erzengeln, seinen Cherubim und Seraphim. Der Gott sah besonders ärgerlich aus, die Lippen so fest zusammengepreßt, daß ihr übliches Lächeln sich in dem schneeweißen Bart verlor, der sich über seine Soutane ergoß. Die Engel waren angespannt, murrten und flüsterten untereinander, bis auf einen jungen Schutzengel, der allein im Chorgestühl saß. Sie wirkte unruhig und zerstreut und zupfte unentwegt an ihrem Flügelgefieder, als wünschte sie sich woanders hinzufliegen. Man munkelte unter den Seraphim, und die Cherubim bestätigten es, daß der Schützling dieses jungen Engels in die große Auseinandersetzung unter den Menschen verwickelt war, deren Ausgang durch dieses Treffen der Götter bestimmt werden könnte.
Uevin war anwesend, er fürchtete sich nicht mehr, seinen wunderschönen Palast zu verlassen. Evren und Zhakrin trafen beide ein, standen zu gegenüberliegenden Seiten des Juwels und musterten sich argwöhnisch.
Als die Götter zusammenkamen, sprachen sie miteinander, und es waren Worte der Sorge und der Befürchtung, denn der Juwel war immer
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