Die Rose des Propheten 6 - Das Buch Promenthas
noch aus dem Gleichgewicht, taumelte immer noch chaotisch durch das Universum, und wenn die Waage auch in eine andere Richtung ausgeschlagen war, war es doch immer noch unsicher und unausgewogen. Aber die Götter wußten nicht so recht, wie sie dies Ungleichgewicht korrigieren sollten.
Es waren schon alle versammelt, nur Akhran der Wanderer nicht, worin einige ein düsteres Vorzeichen sahen. Da traf Quar ein. In seiner mandeläugigen Schönheit hatte der Gott schon immer zart und zerbrechlich gewirkt. Viele bemerkten, daß seine zarte olivenfarbene Haut einen bleichen, kränklichen Stich bekommen hatte, daß die Mandelaugen in nur mühsam verborgener Furcht hin- und herhuschten.
Quar erschien seinen Artgenossen nicht in seinem Lustgarten, sondern betrat – in unterwürfiger Schüchternheit und Demut – die Heimstätten der anderen Götter. Jene, die einen kurzen Blick auf das Heim des Gotts hatten werfen können, sahen, daß das üppige Laubwerk des Lustgartens unter Dürre zu leiden schien. Die Blätter der Orangenbäume trockneten aus, die duftenden Gardenien waren fast alle verwelkt und abgestorben. Aus den Springbrunnen strömte kein Wasser hervor, und die Teiche waren Schlammpfützen. Gazellen wanderten ziellos umher und keuchten vor Durst. Hier und dort lungerte ein ausgemergelter Unsterblicher, spähte verstohlen zwischen den vertrockneten Bäumen hervor und erzitterte jedesmal, sobald der Name Pukah ausgesprochen wurde – was Quar, zusammen mit einem Fluch, an jedem Tag ungefähr zwanzigmal tat.
»Promenthas – mein Freund und Verbündeter«, sagte Quar herzlich und ging den Mittelgang der Kathedrale auf den Gott zu, während er gleichzeitig zu jedem der anderen Götter dieselben Worte sprach. »Ich komme zu dir in dieser Zeit schlimmer Not! Der Himmel ist durcheinander! Die Welt unten wankt am Abgrund der Katastrophe! Es wird Zeit, kleinliche Konflikte beizulegen und sich gemeinsam gegen die kommende Gefahr zu wappnen.«
Es war ein solch interessantes und ungewöhnliches Schauspiel, mitanzusehen, wie Quar sich seinen Weg in das Heim eines jeden Gotts bahnte, daß Benario einen Augenblick zu lange zögerte, Hurishta einen prachtvollen Smaragd zu entwenden, und diese Gelegenheit auf alle Zeiten verpaßte, während sogar Kharmani für einen Augenblick damit aufhörte, sein Geld zu zählen. Der Gott des Reichtums hob träge ein Auge.
»Ich dachte, du wärst die kommende Gefahr«, sagte dieser Gott achtlos zu Quar. Die Irrungen des Juwels bereiteten Kharmani niemals Sorge, denn bei einem Krieg mußte mindestens einer irgendwo Geld machen.
Ein verunsichertes Lachen unter den jüngeren Engeln begrüßte diese Bemerkung, wurde aber sofort von den älteren Cherubim im Keim erstickt, deren Ernst ihnen die Sorge im Auge ihres Gotts widerspiegelten. Quar lief zornrot an, biß sich aber auf die Zunge – und sprach in verletztem Tonfall.
»Ich wollte doch nur dem Chaos die Ordnung bringen, aber ihr wolltet nichts davon wissen und habt euch von diesem Wüstenbanditen an der Nase herumführen lassen! Jetzt stehen seine Horden zum Angriff bereit! Dschihad! Das ist es, was Akhran der Wanderer, der nunmehr Akhran der Schreckliche genannt wird, über euch bringen wird! Dschihad! Heiliger Krieg!«
»Ja, Quar«, bemerkte Promenthas trocken. »Wir wissen, was das Wort bedeutet. Wir erinnern uns, es schon einmal von deinen Lippen vernommen zu haben, gleichwohl in einem etwas anderen Zusammenhang.«
Als er jeden Gott einzeln nacheinander gemustert hatte und feststellte, daß sie im schlimmsten Fall feindselig, im besten gleichsüchtig waren, ließ Quar die zuckersüße Honigmaske fallen. Seine Lippen waren zu einer verächtlichen Grimasse geschürzt. »Ja, ich hätte euch beherrscht, ihr… ihr Narren! Aber meine Herrschaft im Himmel und der Welt darunter wäre gesetzmäßig gewesen…«
»Nach deinem Gesetz«, brummte Promenthas.
»Gerecht…«
»Deine Gerechtigkeit.«
»Ich wollte die Welt von Extremen befreien, dort Frieden bringen, wo Blutvergießen herrschte. Doch in eurem Stolz und eurer Überheblichkeit weigertet ihr euch, das Wohl der vielen zu bedenken, um euch statt dessen mit dem einzelnen zu befassen – mit euch selbst.
Und jetzt werdet ihr dafür bezahlen«, fuhr Quar mit grimmiger Befriedigung fort. »Jetzt gelangt jemand an die Herrschaft, der sich an keinerlei Gesetz hält, nicht einmal an sein eigenes. Anarchie, Blutvergießen, Krieg um des Krieges willen – das ist es, was ihr auf euch selbst
Weitere Kostenlose Bücher