Die Rose von Angelâme (German Edition)
worden waren.
Rose sah links und rechts Menschen in stummem Entsetzen die Gasse säumen, durch die der seltsame Zug schritt, und es hätte sie nicht gewundert, wenn die Menge plötzlich die Hände nach ihr ausgestreckt hätten, um sie zu berühren. Ganz so, wie sie es einstmals in ihren Träumen gesehen hatte.
Aber die Menschen rührten sich nicht von der Stelle. Erst, als die Verurteilten beim Richtplatz angekommen waren, wo man sie vor ihre jeweiligen Holzstöße führte, schloss die Menge auf und reckte neugierig die Hälse.
Rose ließ sich widerstandslos an den Pfahl binden, der über den Holzstoß herausragte, und sah zu, wie auch die übrigen vier Delinquenten ihr Schicksal gelassen hinzunehmen schienen. Es waren noch drei Frauen mit ihr zusammen hergeführt worden und ein Mann, an den sie sich erinnerte. Er war ihr zweimal auf ihrem Weg zum Verhör begegnet, und hatte ihr einmal zugerufen, sie solle in Gottes Namen durchhalten.
Sie schaute hinunter zu der schweigenden Mauer aus Neugierigen, die rings um den Richtplatz standen, und entdeckte unter ihnen die Gestalt des Franziskanerpaters, der sie noch in der vergangenen Nacht aufgesucht hatte.
Rose war zunächst entsetzt an die Wand zurückgewichen und hatte den Wächter angestarrt wie ein Tier, welches man in die Enge trieb, als dieser ihr mit einem ordinären Grinsen einen Pater ankündigte. Man hatte sie in dieser letzten Nacht in eine andere Zelle gebracht.
„Ich will ihn nie wieder sehen.“
„Ich bin hier, dir noch einmal ins Gewissen zu reden“, sagte der Mann jedoch von der Tür aus. Es war nicht die Stimme Guilleaume Imberts, die sie hörte, und das beruhigte sie ein wenig. Der Pater zog ein klein wenig die Kapuze zurück, die bisher sein Gesicht fast verdeckt hatte. Dabei legte er unmissverständlich einen Finger auf die Lippen. Die Zellentür fiel mit dem üblichen lauten Geräusch ins Schloss, und erst, als der eiserne Riegel vorgelegt war, sprach der Mann leise weiter.
„Kennt Ihr mich noch?“, fragte er. „Ich bin Pierre de Mézeray. Habt Vertrauen.“
Rose nickte benommen. Sie war kraftlos auf das Stroh gesunken, und brachte kein Wort heraus.
„Es ist mir dieses Mal leider nicht möglich, Euch zu helfen“, klang seine bedauernde Stimme leise an ihrem Ohr. „Aber ich habe Euch einige Mitteilungen zu machen, von denen ich hoffe, sie erleichtern Euch das, was Euch bevorsteht. Im Übrigen werde ich Euch mit einem Geschenk Eures Freundes in Siena helfen, Euren Weg ohne weitere Qualen zu Ende zu gehen.“
Mit diesen Worten gab er ihr eine kleine Phiole, deren Inhalt Rose austrinken sollte, sobald sich der Kerkermeister anschickte, die Zellentür zu öffnen. Rose nahm es dankbar entgegen und behielt das kleine Glasfläschchen wie ein Kleinod in der Hand.
„Dann hört, was man Euch ausrichten lässt.“
Als er geendet hatte, huschte ein seliges Lächeln über Roses Gesicht, denn sie hatte unter anderem erfahren, dass ihre kleine Familie in Sicherheit war, und ihre Mutter keinesfalls auf die elende Weise umgekommen war, die man sie glauben machen wollte. Außerdem hatte Pierre ihr ein paar Dinge erzählt, die das ergänzten, was sie bereits wusste und eine letzte Aufgabe gestellt, die sie erfüllen sollte. Rose versprach matt, dem zu entsprechen. Der junge Mann hatte ihr den inneren Frieden geschenkt, den sie schon nicht mehr zu erhoffen gewagt hatte.
„Ich habe noch etwas für Euch“, schloss Pierre seine Mission und drückte ihr etwas in die Hand. Es war das Kettchen mit dem goldenen Herzen, das Hochzeitsgeschenk ihrer Mutter.
„Gebt es meinem Kind“, bat Rose, und reichte es ihm zurück, nachdem sie ihre Lippen auf das Kleinod gedrückt hatte.
Nachdem der angebliche Pater sie verlassen hatte, betrachtete Rose die Flüssigkeit in ihrem Glasfläschchen, und trank sie aus, als der Kerkermeister den schweren Riegel vor ihrer Tür hochzog, um diese ein letztes Mal für sie aufzumachen.
Rose durchlebte darauf hin ihre letzte Stunde wie in Trance. Auf dem Weg aus dem Gefängnis führte sie der Weg an einem Pater vorbei, der die Delinquenten beschwor, ihren Verfehlungen zu entsagen, um ihr Seelenheil nicht zu verlieren.
Als Rose an ihm vorbeikam, bat sie leise: „Pater, ich bitte um Vergebung meiner Sünden.“
Er jedoch schüttelte den Kopf. Wer als Hexe angeklagt war, hatte sein Recht auf Beichte und anschließende Absolution verwirkt, und wurde somit der ewigen Verdammnis preisgegeben. Der Pater hatte Rose ihre Sünden
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