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Die Rose von Angelâme (German Edition)

Die Rose von Angelâme (German Edition)

Titel: Die Rose von Angelâme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Mayer
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warmen Wirtsstube trafen und ihren Apfelwein tranken, den sie cidre nannten. Er hörte ihnen gerne zu, wie sie von ihren Fischzügen erzählten, und lachte mit ihnen, sobald er merkte, dass sie ihm Lügengeschichten aufgetischt hatten.
    Wie anders war doch dieses Volk am Meer als jenes in den großen Städten, durch die er gezogen war. Sie glaubten an Gott, ja, aber auch an die Macht, die das Meer hatte, und daran, dass es da noch etwas geben musste, was mit Gott wenig zu tun haben konnte. Und sie sprachen es laut aus, fürchteten keine Scheiterhaufen und keine Inquisition, und jene in den schwarzen Mänteln ließen diese Männer und Frauen gewähren.
    Es gab noch einen Grund, weshalb Pierre sich allabendlich zu den Fischern setzte, und mit ihnen redete, trank und ihre Lieder sang. Ihr Name war Isabelle. Sie war die Tochter des Wirts und brachte den Männern den Apfelwein und das duftende Brot, das sie selber buk.
    Isabelle war nicht sehr groß und hatte eine rundliche Figur, die unter ihrem blauen Wollkleid frisch und stramm wirkte. Dazu gehörten ihr ein paar flinke Füße, die sie unermüdlich in der Gaststube und der angrenzenden Küche umhertrugen, kräftige, von der Arbeit rote Hände und ein allerliebstes, rundes Gesicht. Für gewöhnlich trug Isabelle eine weiße Haube, obwohl sie nicht verheiratet war, unter der ihre dunkelblonden Haare hervorlugten, und die kokett ihren hübschen Nacken hervorhob.
    „Die trage ich, weil mir sonst die Haare immer in die Töpfe fallen“, hatte sie Pierre einmal erklärt, als er sie darauf angesprochen hatte, und hatte ihm ihr fröhliches Lachen geschenkt.
    Der junge Mann seufzte manchmal heimlich, wenn er sie ansah, und dachte an sein Gelübde, das er so oft schon vor sich selber abgelegt hatte. Er wollte keusch wie ein Neugeborenes bleiben, das war sein Opfer für den sehnlichsten Wunsch, den er in seinem Leben hatte. Dennoch konnte er nicht umhin, in Isabelles Nähe zu sein, so oft dies unauffällig möglich war.
    Es war November geworden. Die Bäume waren kahl, die Netze, die bislang noch immer zum Trocknen über Holzgestellen hingen, hatte man geflickt, eingerollt und weggeräumt, die Boote lagen kieloben zwischen den Häusern. Man hatte die Reetdächer ausgebessert, Risse in den Wänden abgedichtet, und als die ersten Herbststürme die Küste erreichten, schien es, als duckten sich die Häuschen hinter den Dünen bis nahezu auf den Boden.
    Pierre musste tagelang in seinem Zimmer bleiben, da der Sturm ihm keine Möglichkeit ließ, das Haus zu verlassen. So lag er auf seinem Bett und starrte in die Dunkelheit, weil der Wirt die Fensterläden vor der Wucht des Sturmes verschlossen hatte.
    Seine Gedanken schweiften zurück zu den Orten, die er bereist hatte, worüber er aber jedes Mal einschlief.
    Es klopfte und er schrak aus seinen Träumen, die ihn gerade nach Avignon entführt hatten, wo er vor einiger Zeit an Bord einer der stattlichsten Barken gegangen war, die im Hafen lagen.
    Pierre wollte eben aufstehen, um nachzusehen, wer Einlass begehrte, als die Tür aufging und der Wirt hereinschaute.
    „Es wäre uns eine Ehre, wenn Ihr mit uns zu Mittag essen wolltet“, sagte er, und Pierre, der vom Schlaf noch ganz benommen war, nahm dankend an.
    An diesem Tag hatte sich der Wind etwas gelegt, und einige der Fischer kamen in die Gaststube, um einen Becher Apfelwein zu trinken und sich zu unterhalten. Ein Schiff sei in der Nacht unweit der Küste gekentert, erzählten sie, aber sie hätten bislang keine Überlebenden gefunden.
    „Das Meer wird sie wieder ausspucken“, sagte der alte Lucien trocken. „Es will sie nicht für immer.“
    Niemand äußerte sich dazu, weil jeder wusste, dass man spätestens morgen die ersten Leichen vom Strand auflesen konnte, die das Meer bei auflaufendem Wasser an Land gespült hatte.
    „Es soll ein Handelsschiff gewesen sein, das nach England unterwegs war. Bestimmt hatte es auch Passagiere dabei, die alle ertrunken sind“, erzählte einer, den sie den Buckligen nannten, weil er von Kind auf einen krummen Rücken hatte.
    Den habe ihm sein Vater krumm geschlagen, aus Wut darüber, dass er rothaarig zur Welt gekommen sei, hatte der Wirt Pierre anvertraut. Ein alter Säufer soll er gewesen sein, dieser Hundsfott, dem von elf Kindern nur dieser Bucklige geblieben war. Die übrigen Söhne habe das Meer hinweggerafft, und nur der hier sei übrig geblieben, weil er aufgrund seiner Behinderung nicht hinausfahren konnte. Sein Alter hätte sich vor

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