Die Rose von Angelâme (German Edition)
Weg durch die Menge bahnen. „Nicht! Ich muss noch einmal mit ihr reden!“ Aber das Geschrei der umstehenden Menschen übertönte seine Stimme, und die Gier des Volkes nach einem unvergesslichen Schauspiel schloss ihn ein wie eine Mauer.
Da schossen die Flammen bereits an Roses Körper empor.
Der Henker, der hinter der bewusstlosen Comtesse von Angelâme stand, hatte eine Schlinge um ihren Hals gelegt, als er merkte, wie ihr Kopf zur Seite glitt, und ihr gnädig das Genick gebrochen, bevor die Flammen sich ihres Körpers gänzlich bemächtigen konnten. Dann verließ er eiligst den Scheiterhaufen über eine rückwärtig angelehnte Leiter, um zu den übrigen Verurteilten zu gehen und ihnen dieselbe Gnade zu erweisen.
Welch ein Hohn! schrie es in Pierre, der sich jetzt einen Weg aus der Menge bahnte, die nach vorne zu den brennenden Holzhaufen drängte. Er schaffte es gerade noch, bis zum Rande des Platzes zu kommen, der für gewöhnlich als Marktplatz diente, bevor er sich übergab.
Welch ein Hohn!
Die Bruderschaft hatte Rose geopfert, um einen wahnsinnigen Plan zu erfüllen. Männer wie de Nogaret, Guillaume Imbert und der König der Franken mussten jetzt zusehen, wie sie das Geheimnis ergründeten, dessen Spuren mit diesem Autodafé für immer verwischt schienen.
Pierre schüttelte sich grimmig.
Alle Heiligen dieser Welt! Irgendwo würde vielleicht Jahrhunderte lang ein Protokoll in einem geheimen Archiv gehütet werden wie ein Augapfel, aber zuvor würde ein machtgieriger Dominikaner jedes geschriebene Wort darin wieder und wieder lesen, überdenken, verdrehen und schließlich darüber verzweifeln.
Was in drei Teufels Namen (Herr, vergib!) hatten die einen oder die anderen jetzt gewonnen? Welches noch so große Geheimnis der Welt war so ungeheuerlich wichtig, dass dafür ein unschuldiger Mensch geopfert werden durfte?
Pierre konnte sich vorstellen, dass de Nogaret, Guillaume Imbert oder der König selbst weiter suchen würden, denn zu wichtig war für sie geworden, was zu ergründen sie sich vorgenommen hatten.
Was für ein Irrwitz!
Pierre stolperte aus der Stadt. Ihm war noch immer übel.
Schließlich fand er die Stelle, wo er sein Pferd angebunden hatte. Er entledigte sich seines Mönchsgewandes und verließ die Gegend unerkannt, bevor jemand ihm unliebsame Fragen stellen konnte.
In seinem Gepäck befand sich ein dickes Bündel mit Seiten des Gerichtsprotokolls über den Fall Rose von Angelâme, welches ein Vertrauter der Bruderschaft heimlich kopiert und ihm überreicht hatte. Ein weiteres Bündel enthielt zwei Holzbretter, auf die in unvergleichlicher Weise zwei Menschen gemalt worden waren, die er niemals vergessen würde.
Pierre hatte einen weiten Weg vor sich, den er unverzüglich antrat.
Die Pergamente tauchten Wochen später im Besitz eines gewissen jüdischen Weinbauern in Tuscien auf. Die beiden Gemälde fanden einen Platz in jener Bibliothek, von wo aus sie eines Tages ihre Reise in die Zukunft antreten würden.
Wer Augen hat zu sehen, der sehe.
In Tours saß bereits am Tag nach der Hinrichtung der Großinquisitor über den Verhörakten und begann verzweifelt einen Anhaltspunkt für das zu finden, was Rose ihm vom Scheiterhaufen herunter zugeschrien hatte. Die ganze Wahrheit hinter Roses letzten Worten würde sich ihm jedoch niemals erschließen.
Eines wurde ihm beim Studium der Mitschriften nach geraumer Zeit klar: Sie hatte niemals von ihrem , als von dem Vater gesprochen. Damit konnte sie letztendlich nur den Papst gemeint haben. Dessen Farbe war ein leuchtendes Rot.
Rot!
Er stöhnte laut auf, als ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag traf: Das Kind hatte dem Heiligen Vater eine Botschaft überbringen lassen, nachdem der Dorfgeistliche von ihrer Vision erfahren hatte.
Guillaume Imbert schlug die Hände vors Gesicht. Plötzlich verstand er, wie alles zusammenhing, ahnte, dass de Nogaret davon wissen musste.
De Nogaret.
Rose!
Giselle.
Honfleur im Jahre des Herrn 1309
Pierre war von Siena aus auf Geheiß derer mit dem rosenfarbenen Kreuz zunächst nach Toulouse, und anschließend an der Küste entlang bis zu einem kleinen Fischerhafen gereist, den er gegen Ende des Jahres 1309 erreichte. Er mietete sich im einzigen Gasthaus des kaum dreihundert Seelen zählenden Dorfes ein und wartete, bis er neue Weisungen erhielt.
Tagsüber ging er am Strand entlang und sammelte Muscheln, die ihm sein Wirt am Abend zubereitete, und abends saß er bei den Fischern, die sich in der
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