Die Rose von Angelâme (German Edition)
geschwiegen? Sie hätte doch nur zu erzählen brauchen, was sie wusste!
Roses letzte Worte dürften ihn noch lange beschäftigt haben, die auch unter den umstehenden Gaffern einiges Rätselraten ausgelöst hatten. Erinnert Euch an diese Worte, Pierre, und fügt alles, was Ihr hier von mir gehört habt zu einem Bild zusammen. Dann habt Ihr das Wesentliche des Rätsels gelöst, für das Ihr so viel getan habt bislang.“
Der junge Mann verkniff sich die Frage, woher Henri diese Information hatte, griff nach seinem Bier, stellte fest, dass es inzwischen warm geworden war und winkte nach einem neuen Krug. Als das schäumende Gebräu schließlich vor ihm stand, fuhr Henri fort:
„Das alles war wohl Grund genug dafür, weshalb sich Guillaume Imbert nach den erfolglosen Verhören des Templergroßmeisters de Molay in ein Kloster zurückzog, wo er von der Welt vergessen in diesem Sommer starb.“
„Und de Nogaret?“
„Das ist in eingeweihten Kreisen kein Geheimnis“, kam Henri erneuten Fragen seines Gegenübers zuvor, die er in dessen Gesicht zu lesen glaubte. „Er hatte in seinem Wahn den Blick für die Tatsachen verloren und nie aufgehört daran zu glauben, nach einem Heiligen Gral suchen zu müssen. Der Stein der Weisen? Die ewige Jugend? Nein, das alles fand er nicht. Das Naheliegende konnte er nicht sehen. Zwar ahnte auch er, dass de Molay mehr wusste als alle, die das Geheimnis der Rose zu lüften suchten, aber auch er scheiterte am eisernen Willen all dieser Menschen, die ihr Wissen lieber mit in den Tod nahmen als es zu verraten.“
Pierre schüttelte fassungslos den Kopf.
„Das würde aber bedeuten, dass selbst der König mehr um den Inhalt dieses Geheimnisses wusste, das doch angeblich so sorgfältig gehütet werden muss, dass nicht einmal ihre neun Träger den vollen Umfang kennen!“
Zornig schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. Er fühlte sich ziemlich betrogen.
„König Philipp wusste mit Sicherheit, dass diese Frau aus Angelâme Kenntnis von etwas haben mochte, was mit dem merowingischen Machtanspruch im Zusammenhang stand - aber er wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass sie selbst die Gefahr darstellte, vor der er sich insgeheim fürchtete.“
„Rose von Angelâme stammte aus dem Hause der Merowinger?“, fragte Pierre erstaunt. „Das war mir nicht bekannt.“
Henri lachte.
„Wer Ohren hat zu hören, der höre! Ich habe niemals gesagt, dass die Gedankengänge der Männer, von denen ich berichtet habe, auch stimmen müssen.“
Pierre sank förmlich in sich zusammen. Es war einfach zu viel.
„So hört denn weiter zu. Philipp ahnte vermutlich etwas: Hinter dem wertvollen Kleinod, einem Edelholzkästchen, das er bei seinem Besuch im Temple gezeigt bekam, und das später aus dem Schatz der Templer verschwunden war, steckte weitaus mehr als lediglich der zu erzielende Geldwert. Vielleicht, so mutmaßte er, war dieses Kästchen der berühmte Heilige Gral, nach dem alle so fieberhaft gesucht hatten. Als Philipp jedoch merkte, dass er mit weiteren Äußerungen dazu de Nogarets krankhafte Neugier anstacheln würde, beließ er es bei einem Versuch, dieses Kästchen zu finden. Was der König jedoch nie erfuhr: Der Schädelknochen, der im Inneren des Kästchens aufbewahrt wurde, stammte nach alten Überlieferungen von Maria von Magdala, der Jüngerin Jesu, die vor mehr als tausend Jahren nach Frankreich gekommen war und sich dort niedergelassen hatte.
Hätte er darum gewusst, wären ihm vermutlich auch die übrigen Zusammenhänge klar geworden, und beim durch seine Mittelsmänner gelegten Brand der Angelâme’schen Burg hätte er besonderes Augenmerk auf einen ganz bestimmten Bereich in der Nähe der Burg gerichtet. Dort befand sich nämlich seit Jahrhunderten die Ruine eines einfachen kleinen Hauses, in dem vor Langem einmal eine Frau gewohnt hatte, von der eine alte Sage berichtete, sie sei vor Zeiten mit ihrem Töchterchen übers Meer gekommen. Es hieß, sie sei eine alte Jüdin gewesen mit Namen Mirjam, und sie hätte zu den Frauen um Jesus gehört, als er noch lebte. Weiter berichtet die Sage, dass in der Nähe des inzwischen verfallenen Steinhauses immer wieder eine Frau aufgetaucht sei, ganz in Rot gekleidet - aber niemals hätte sie etwas gesagt.“
Pierre starrte Henri mit weit aufgerissenen Augen an.
„Bei allen Heiligen!“, entfuhr es ihm. „Bei allen Heiligen!“
Als sich Pierre zu später Stunde von Henri verabschiedete, fühlte er sich tief aufgewühlt. Die
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