Die Rose von Angelâme (German Edition)
„Sarah wird bei einem Kindergartenbasar kurz vor Weihnachten von einem Unbekannten erschossen. Die Polizei findet nicht heraus, wer der Täter war, wie auch jedes Motiv zu fehlen scheint.“
Simon zog einen Notizblock aus der Schublade. Er blätterte darin, bis er gefunden hatte, wonach er suchte.
„Seltsam. Hier: Rogers Mutter kam ums Leben, als der Junge fünf Jahre alt war, weil sie einen Mann vor dem Ertrinken retten wollte. Der rettete sich jedoch ans Ufer und verschwand unerkannt. Die Mutter ertrank. Der Typ kümmerte sich nicht einmal um seine Retterin oder den Jungen. Einfach so. Unverständlich.“
Er sah aus dem Fenster, als fände er dort eine Antwort.
„Wie muss man sich denn so etwas vorstellen?“, überlegte Linda und warf einen Blick auf ihre eigenen Notizen. „Ein gut besuchter Badesee und keiner, der gesehen haben will, was da passierte? Warum ist die Frau denn überhaupt ertrunken? Sie hätte doch nicht versucht, den Kerl zu retten, wenn sie nicht schwimmen konnte!“
„Das frage ich mich auch gerade“, gestand Simon. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Notizen und fasste zusammen. „Hier: Die Zeugen sagten übereinstimmend aus, dass der Mann sich selber ans Ufer rettete, und als man nach Rogers Mutter Ausschau hielt, muss er sich in der allgemeinen Aufregung unbemerkt davongemacht haben. Warum auch immer. Eine genaue Personenbeschreibung gibt es nicht, dafür waren die Leute viel zu aufgeregt.“
„Mhm, und ich verstehe immer noch nicht, warum Rogers Mutter ertrunken ist.“
„Ich auch nicht, und weigere mich einem Gedanken nachzugehen, der mir seit ein paar Tagen durch den Kopf schwirrt.“
„Dass der Unbekannte ihren Tod auf dem Gewissen hat, indem er sie beispielsweise absichtlich untertauchte?“, fragte Linda fassungslos.
„So in etwa, ja.“
„Aber warum das denn?“ Sie hielt einen Augenblick lang inne, um dann ihrer Erkenntnis Luft zu machen. „Hören Sie auf damit, Simon. Verschwörungstheorien passen eher zu Politikern und wichtigen Geschäftsleuten als zu so unbedeutenden Menschen wie einer Familie Martin!“
„Finden Sie?“
„Finde ich.“
„Sehen Sie, genau das ist der Grund, warum ich meinen Überlegungen nicht weiter nachgehen mag. Vielleicht ist es aber auch der Grund, warum bislang niemand in dieser Richtung ermittelt hat.“
Sie schwiegen beide, ehe Linda schließlich seufzte: „Gut, noch mal von vorn. Frau Martin ertrinkt beim Versuch, einen Mann vor dem Ertrinken zu retten, der einfach abhaut, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Ihr Sohn Roger kommt Jahre später bei einem Autounfall ums Leben. Er ist knapp achtundzwanzig Jahre alt. Der Unfallverursacher entkommt unerkannt, ebenfalls ohne sich um den jungen Mann zu kümmern. Das Auto des Unfallflüchtigen war laut Spurensicherung ein schwarzer Ford Baujahr 1997, der jedoch nie gefunden wurde. Zeugen gab es nicht.“
Wieder ein Kreis, ein paar Linien auf Simons Blatt.
„Sarah wird während des Weihnachtsmarktes eines Kindergartens erschossen. Der Täter kann nicht ermittelt werden. Niemand hat etwas gesehen, und die Polizei kann nur vermuten, dass der Schuss aus einem Auto heraus abgefeuert worden ist. Nicht mal eine Patrone wurde irgendwo gefunden. Die Schusswaffe ist nach Erkenntnis der Ballistiker ein Ding fernöstlicher oder osteuropäischer Herkunft. Mit Sicherheit jedoch illegal eingeschleust und nicht registriert“, resümierte Linda weiter.
Simon trommelte mit dem Stift einen schnellen Rhythmus auf die Schreibtischplatte.
„Irgendetwas“, sagte er und las noch einmal durch, was er bislang notiert hatte. „Irgendetwas habe ich übersehen.“
Die Tür flog auf und Daniel stürmte herein.
„Bringen Sie uns etwas zu trinken“, fauchte er Linda an. Nach einem schnellen Blickwechsel mit Simon erhob sie sich, nahm ihre Unterlagen und ging zum Einbauschrank.
„Was soll das?“, fragte Daniel ungehalten und wedelte mit der Hand über Simons Unterlagen. „Das ist - beziehungsweise war - Sache der Kripo, nicht unsere! Der Fall gilt als abgeschlossen. Was machst du da eigentlich?“
„Nun beruhige dich erst mal“, versuchte Simon ihn zu beschwichtigen.
„Deine Aufgabe …“ Daniel stützte sich schwer atmend auf die Schreibtischplatte, die ihn von Simon trennte. Dabei beugte er sich vor und kam Simon so nahe, dass der seinen Atem roch. Pfefferminze. Daniel hasste Menschen mit Mundgeruch und vermied fast manisch, welchen zu haben. „Deine Aufgabe …“, begann er
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