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Die Rose von Angelâme (German Edition)

Die Rose von Angelâme (German Edition)

Titel: Die Rose von Angelâme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Mayer
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Marie dachte lange darüber nach, wie sie ihr Verlöbnis lösen konnte, ohne ihren Bräutigam zu verletzen, und ohne ihn und sich selber unnötig ins Gerede zu bringen. Noch hatte er sich an das Trauerjahr zu halten, bevor er ihr einen Hochzeitstermin vorschlagen konnte. Noch hatte sie ein wenig Zeit.
    Trotzdem beunruhigte sie die Tatsache, dass sie diese Trennung ganz ohne Vorbehalte und ernsthafte Gewissensbisse beschlossen hatte. Vielleicht, so mutmaßte sie, war sie durch den Tod ihres geliebten Vaters schlichtweg verrückt geworden und konnte sich deshalb einfach nicht vorstellen, dass irgendjemand seinen Platz als Herr über Angelâme einnehmen sollte.
    Sie war schließlich zu dem Entschluss gekommen, dass wenigstens sechs Monate verstreichen sollten, bis sie Jean-Philippe ihre Entscheidung mitteilen würde. Vielleicht, so beruhigte sie sich in den aufreibenden Augenblicken ernsthafter Zweifel an ihrem Verstand, vielleicht besann sie sich ja inzwischen doch noch eines anderen.
    Sie war froh, dass Jean-Philippe nichts von ihren Gedanken ahnte.

    Als Marie am frühen Nachmittag des 9. September 1840 in das Lieblingszimmer ihres Vaters ging, fühlte sie sich zum ersten Mal seit seinem Tode unglaublich einsam. Sebastien hatte fast alles erledigt, was es für ihn zu tun gab, und damit wurden seine Besuche im Schloss auch immer seltener. Jean-Philippe hielt sich weitestgehend von ihr fern, weil sie ihn mit guten Argumenten darum gebeten hatte, und sonst kannte sie niemanden, der ihr nahe genug stand, als dass sie ihn unbedingt hätte sehen wollen.
    Da war eine Tante mütterlicherseits, die ihr die unverheiratete Cousine als Zofe hatte schicken wollen, aber Marie hatte höflich abgelehnt. Einige andere Verwandte hatten angeboten, sich ihrer anzunehmen, aber Marie vermutete, dass sie sich lediglich auf dem Schloss einnisten wollten, um es sich auf Kosten der verwaisten aber reichen Comtesse einige Zeit gut gehen zu lassen.
    Marie schauderte bei dem Gedanken daran, plötzlich all diese Leute um sich haben zu müssen. Sie konnte sich gut die liebenswerten Tanten und Onkel vorstellen, die ihre geheiligte Welt in Unordnung brachten.
    „Ach Marie, dieses Bild hier - einfach schamlos! Dein Vater hatte schon immer einen seltsamen Geschmack! Warum hängst du es nicht in den Speicher!“
    „Marie! Die Dienstboten sind unzuverlässig! Erst heute hat das Mädchen unendlich lange dazu gebraucht, mir ein paar gekochte Eier aufs Zimmer zu bringen!“
    „Marie, du müsstest deine Frisur ändern. Eine junge Frau wie du, unverheiratet - und dazu noch Waise!“
    „Marie, dein Vater hat eindeutig versäumt, dich wie eine junge Dame zu erziehen. Wie auch, ohne Frau im Hause! Wir werden eine passende Lehrerin für dich finden, die das sehr schnell nachholt.“
    „Marie, das Schloss ist viel zu groß für dich. Du solltest hier nicht so alleine leben. Eigentlich könnten wir den Westflügel …“
    Nein. So ganz bestimmt nicht. Lieber riskierte sie, hinter vorgehaltener Hand als verzogene, undankbare Tochter eines etwas exzentrischen Comte gehandelt zu werden, als dass sie sich womöglich noch in die Hände von Gouvernanten und sonstigen Damen begab, die sich die Aufgabe gestellt hätten, aus ihr ein gehorsames Schäfchen zu machen.
    Dann lieber ebenfalls als exzentrisch gelten.
     
    Sie setzte sich an den großen Schreibtisch ihres Vaters, faltete die Hände über der ledernen Schreibunterlage und schaute auf die alten Porträts, die ringsum zwischen Fenstern und Bücherregalen die Wände zierten.
    Ihr Vater hatte für seine Arbeiten dieses Zimmer immer allen Räumen des Schlosses vorgezogen, weil es eine Art Ruhe ausstrahlte, die er brauchte, um seinen Verpflichtungen nachzukommen, die bei der Verwaltung des riesigen Besitztums unweigerlich anfielen.
    Wenn er am Schreibtisch saß und sich nach links wandte, konnte er seinen geliebten Rosengarten sehen. Wenn er das Fenster in der dicken Laibung mit der breiten, hölzernen Fensterbank öffnete, war das Zimmer im Sommer innerhalb weniger Minuten mit dem betörenden Duft erfüllt, den die wertvollen Blüten verströmten. Er hatte die Königin der Blumen zwischen dichten Lavendelbüschen pflanzen lassen, deren blaue Blüten die Schönheit seiner Lieblinge noch hervorhoben und seinen Aussagen zufolge ihren Duft noch verstärkten - und außerdem Blattläuse von ihnen fernhielten.
    In den Jahreszeiten, während der die Rosenstöcke nicht blühten, sorgten der Garten und der dahinter liegende

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