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Die Rose von Angelâme (German Edition)

Die Rose von Angelâme (German Edition)

Titel: Die Rose von Angelâme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Mayer
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vorsichtig an dem heißen Getränk, das würzig und leicht süß schmeckte.
    „Es ist etwas Seltsames in diesen Schriftstücken, nicht wahr?“, fragte sie schließlich. „Ich meine, nicht nur wegen ihres Inhalts.“ Sie ging zum Schreibtisch zurück und berührte die alten Dokumente vorsichtig mit den Fingerspitzen.
    „Das ist möglich“, stimmte Julien ihr zu. „Ich habe Ähnliches empfunden, während ich die Texte zu übersetzen versuchte. Was vermutlich an den Dingen liegt, die hier beschrieben wurden, und über die wir beide wohl niemals zuvor nachgedacht haben.“
    „Vermutlich.” Marie nippte erneut an ihrem Wein. „Vermutlich. Aber warum nur hat mein Vater sie ohne mein Wissen hier aufbewahrt, dazu hin noch an einer dermaßen merkwürdigen Stelle? Warum hat er mir nie etwas über das erzählt, was darin beschrieben steht?“
    „Das kann ich Euch leider auch nicht sagen. Wenn Ihr möchtet, übersetze ich die restlichen Seiten noch für Euch“, bemühte er sich, das aufkommende Unbehagen zu überspielen, das sich im Zimmer auszubreiten begann.
    „Ja, bitte“, antwortete Marie leise und ging zur Tür. „Wenn Ihr wollt, überlasse ich Euch diesen Raum - Ihr habt dieses Mal sogar ein Wörterbuch.” Sie versuchte ein vages Lächeln.
    „Nein“, antwortete Julien und deutete auf das Tischchen in der Nähe des Fensters. „Ich kann mich auch dort hinsetzen, dann könnt Ihr hier am Schreibtisch arbeiten, wenn Ihr wollt.“
    Marie schüttelte den Kopf und ging an ihm vorbei zurück zum Fenster. Sie sah einen Augenblick lang hinaus. „Es hat zu schneien begonnen“, sagte sie.

    Vier Tage später schickte Julien sich erneut an, seine Sachen zu packen, nachdem er die restlichen Seiten der Gerichtsprotokolle so gut es ging übersetzt hatte. Marie ließ ihm eine angemessene Summe für seine Arbeit ausbezahlen. Sie vermied es, ihr Zimmer zu verlassen, nachdem er ihr Lebewohl gewünscht hatte, weil sie sich denken konnte, dass er sich noch einmal von Jeanette verabschieden würde. Sie verspürte im Augenblick keine Lust, ihr zu begegnen.
    Die Übersetzungen lagen ausgebreitet vor ihr auf dem Tisch. Marie überflog die sauber aufgesetzten Zeilen, die Julien zwar sichtbar eilig, an manchen Stellen mit Ausbesserungen, aber im Großen und Ganzen in gestochen scharfer Schrift zu Papier gebracht hatte.
    Während sie eine Seite nach der anderen durchlas, gingen ihr die seltsamsten Gedanken darüber durch den Kopf, was an diesen Dokumenten für ihren Vater so wichtig gewesen war, dass er sie nirgendwo in seinen Aufzeichnungen erwähnt hatte. Selbst, wenn er vor seinem Tod keine Zeit mehr gehabt haben sollte, den lateinischen Text zu übersetzen - er hätte ihr bestimmt gesagt, was er erworben hatte und aus welchem Grund. Zumal die Schriftstücke eindeutig ein Teil Familiengeschichte der Angelâmes waren.
    Es ergab irgendwie keinen Sinn.
    Inzwischen dämmerte es draußen, und vom Fenster her fiel ein bläulich-weißes Licht in den Raum, welches Marie frösteln ließ. Sie läutete nach einem ihrer Diener, der wortlos die aufgestellten Lampen entzündete, nach dem halb erloschenen Feuer sah und Holz nachlegte. Dann verließ er mit einer angedeuteten Verbeugung leise den Raum.
    Marie schob die Papiere zusammen. Sie hatte genug gelesen, was sie zutiefst aufwühlte. Zu viele Gedanken waren ihr durch den Kopf gegangen, zu viele Fragen unbeantwortet geblieben, die sie nachhaltig beschäftigten. Sie musste mit jemandem sprechen, der ihre Familie kannte wie kein anderer sonst, und der ihr half, ein wenig Licht in ihre dunklen Gedanken zu bringen.
    Zunächst einmal ließ sie das Arbeitszimmer ihres Vaters vollkommen ausräumen, Wände, Decke, Fenster-und Türrahmen neu streichen und dann die Regale wieder aufstellen. Während sie die Bücher neu einsortierte, hoffte sie etwas zu finden, was sie mit den Protokollen weiter brachte.
    Aber sie fand nichts, was sie nicht schon gekannt hätte.
    Schließlich hängte sie die abgenommenen und sorgfältig gereinigten Bilder wieder an ihren jeweiligen Platz. Als sie das Original mit der Burgansicht zurückhängen wollte, von dem sie versehentlich ein wenig Farbe abgeblättert hatte, hielt sie plötzlich inne. Einem inneren Impuls folgend löste sie das Bild vorsichtig aus seinem Rahmen und stellte es zur Seite. Dann passte sie die von Julien angefertigte Kopie sorgfältig in den Rahmen ein und stellte zufrieden fest, dass es exakt die gleichen Maße hatte wie das Original.
    Sie hängte

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