Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rose von Angelâme (German Edition)

Die Rose von Angelâme (German Edition)

Titel: Die Rose von Angelâme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Mayer
Vom Netzwerk:
die Kopie an die Stelle des Originals und trat ein paar Schritte zurück: Es war wundervoll gearbeitet und kaum vom Urbild zu unterscheiden.
    Das Original brachte sie ins Atelier und stellte es zunächst einmal zwischen die übrigen Gemälde, die an einer Wand entlang auf dem Boden standen und darauf warteten, gerahmt, gereinigt oder einfach nur aufgehängt zu werden.
    Als sie wieder in ihr Arbeitszimmer zurückkam, betrachtete sie lange das Porträt des jungen Mannes, der wie zuvor gegenüber ihrem Schreibtisch hing. Es schien ihr, als hätte er die Täuschung erkannt, denn er schaute mit seinen grauen, wachen Augen direkt an der Kopie vorbei an die Wand. Marie versuchte, dem Bild eine neue Position zu geben. Aber wie sie es auch an seiner Aufhängung zu verschieben suchte: Es passte einfach nicht mehr. Plötzlich löste sich der Nagel aus der Wand, und das Bild wäre ihr beinahe aus der Hand gefallen.
    Zuerst stellte sie es unterhalb der Stelle auf den Boden, an der es eigentlich hängen sollte. Sie wollte sich später darum kümmern. Einem inneren Impuls folgend stellte sie jedoch das Porträt des eigenwilligen jungen Mannes ebenfalls ins Atelier. Es hatte eine gründliche Reinigung nötig, die wohl eher ein Restaurator als die fleißigen Hände ihrer Dienerinnen erledigen sollten.
    Ihre Aktivitäten in und um das Arbeitszimmer hatten sie wenigstens vier Wochen lang so sehr in Anspruch genommen, dass sie kaum noch an die Protokolle dachte. Aber an diesem Abend holte sie die von Julien beschriebenen Seiten aus ihrem Schreibtisch und las seine Übersetzungen noch einmal in Ruhe durch.
    Erneut kam so etwas wie Zorn und Ohnmacht in ihr hoch, und wäre sie tiefreligiös gewesen, sie hätte den Glauben an diese Kirche verloren, die das Wort der Heiligen Schrift so schändlich in den Staub getreten hatte, welches lautet: Liebet Eure Feinde .
     
    Ein paar Tage später suchte sie ihren Anwalt, Monsieur Sebastien auf. Vielleicht wusste er mehr über diese unglaubliche Geschichte. In einer Tasche hatte sie die Übersetzungen mitgenommen. Die Originale lagen inzwischen sauber zwischen zwei dicken Pappdeckeln abgeheftet in einer Schublade ihres Schreibtisches, den sie stets abgeschlossen hielt.
    Auch ihr Personal war neugierig, das wusste sie.
    In Monsieur Sebastiens Kanzlei musste sie einen Augenblick warten, da er offensichtlich einen anderen Klienten hatte. Während sie in dem kleinen Vorzimmer, welches zur Mittagszeit nicht besetzt war, auf und ab ging, wurde sie unvermittelt Ohrenzeugin eines Gesprächs, das sie hellhörig werden ließ.
    Sie konnte nicht alles verstehen, was hinter der Tür zu Monsieur Sebastiens Arbeitszimmer gesprochen wurde, erkannte aber die Stimmen der beiden Männer auf Anhieb.
    Eine der beiden Männerstimmen gehörte eindeutig dem Anwalt, der jedoch so leise sprach, dass sie nicht verstehen konnte, was er sagte. Außerdem wäre es ohnedies undenkbar gewesen, dass sie an die Tür gegangen und gelauscht hätte.
    Die zweite Stimme gehörte zu ihrer Überraschung Honoré, der sich hin und wieder heftig in Zorn redete.
    Aus dem, was sie von ihrem Diener bruchstückhaft vernahm, erriet Marie, dass es um die alten Dokumente ging, deretwegen sie selber hergekommen war. An Monsieur Sebastiens verhaltener Lautstärke glaubte sie zu erkennen, dass jener versuchte, den alten Mann zu beruhigen.
    Aber Honoré war nicht zu beruhigen. Die beiden Männer schienen sich über irgendetwas an der Übersetzung nicht einig zu sein, denn sie hörte hin und wieder Juliens Namen. Dabei klang es keinesfalls wohlwollend, wenn Honoré ihn aussprach. Allerdings verstand sie bedauerlicherweise kein Wort von dem, was über ihn gesagt wurde.
    Woher kannten die beiden Männer den Inhalt der Protokolle? Sie hatte sowohl die Originale als auch die Übersetzung stets weggeschlossen. Seltsam.
    Sollte Honoré …? Unmöglich! Weshalb sollte der alte Diener Interesse an diesen alten Schriftstücken haben?
    Nach einer Weile zog sie vor wieder zu gehen. Eine innere Stimme sagte ihr, dass sie besser daran tat, die beiden nicht wissen zu lassen, dass sie gerade jetzt hier gewesen war.
    In dem Augenblick jedoch, als sie die Tür öffnete, um das Zimmer zu verlassen, erschien Monsieur Sebastien unvermittelt in der anderen und sah sie dort stehen. Geistesgegenwärtig trat Marie wieder ein und schloss die Tür hinter sich, als wäre sie soeben erst gekommen.
    Mit ausgestreckten Händen ging sie auf ihn zu, ihn zu begrüßen, was er aufs

Weitere Kostenlose Bücher