Die Rose von Angelâme (German Edition)
Originalseiten. Ich habe das gesamte Protokoll in Kopien archivieren lassen.“
Marie schluckte vor Aufregung. Das gesamte Protokoll! Das würde ja bedeuten … Das bedeutete ja …
Der Verwalter erhob sich und verließ den Raum, um im nächsten oder übernächsten nach den gewünschten Dokumenten zu suchen. Nach geraumer Zeit, während der Marie nervös die Titel auf den Rücken der hier aufbewahren Folianten studierte, ohne genau zu wissen, wonach sie eigentlich suchte, kam Signore Benetti wieder zurück. Er legte ein dickes, in schweres Leder gebundenes altes Buch auf den Tisch.
„Hier“, sagte er und löste die Metallspange, die einen breiten, mit ockerfarbenen Ornamenten geprägten Lederstreifen zusammenhielt, der um das Buch gelegt war. Dann schlug er den Ledereinband auf. Marie sah mit einem Blick, dass sich obenauf die fehlenden Seiten der Originaldokumente befanden, die Julien übersetzt hatte.
„Warum hat mein Vater sich denn nicht alle Seiten schicken lassen?“, fragte sie und strich vorsichtig mit der Hand über die Oberfläche des beschriebenen Pergaments.
„Das entzieht sich leider meiner Kenntnis“, bedauerte der Signore.
„Aber woher wusstet Ihr denn, welche Teile der Protokolle er haben wollte? Sind die Seiten nummeriert?“
„Nein, das ganz sicher nicht. Als Euer Vater das letzte Mal hier war, hat er sehr viel Zeit in diesem Raum verbracht. Einige Seiten hat er aussortiert und mich gebeten, sie ihm zu schicken, nachdem sie kopiert worden waren. Das habe ich getan.“
„Er wollte die Originale?“
„In diesem Fall ja.“
„Das war außergewöhnlich, wollt Ihr damit sagen? Wo er doch in anderen Fällen befürchtet hat, dass die wertvollen Papiere verloren gehen.“
„Nun ja, es kam nicht oft vor, dass er Originale haben wollte, das ist richtig. Aber es stand mir nicht zu, nach seinen Gründen zu fragen.“
Marie nickte.
„Wer hat sie nach Angelâme gebracht?“
„Einer meiner Männer.“
„Wer hat den Empfang der Dokumente in Angelâme quittiert?“
„Honoré, soweit ich mich erinnere.“
Marie riss überrascht die Augen auf. Honoré!
„Kennt Ihr den Inhalt dieser Protokolle?“, wollte sie dann wissen, und gab sich Mühe, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen.
Signore Benetti nickte.
„Euer Vater hat oft mit mir über diese Schriften und deren Inhalt diskutiert.“
„Ah! Ich wollte, ich hätte dabei sein können!“, wagte Marie noch einen Versuch, mehr von diesem Mann zu erfahren. „Ich hätte nur zu gerne gewusst, was der eigentliche Grund dafür war, dass man eine Angelâme zweimal verhaftet und schließlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat!“
„Wisst Ihr es denn nicht?“
Marie sah ihn an. Ihre Augen sprühten vor Aufregung.
„Nein. Wisst Ihr mehr darüber?“
Der Verwalter musterte sie erneut aufmerksam.
„Ist das der eigentliche Grund für Euer unangemeldetes Kommen?“
„Ich muss mich nicht anmelden, wenn ich mein Gut besuche“, antwortete sie ausweichend. Sie konnte einfach noch nicht abschätzen, ob sie diesem Mann vertrauen konnte. Allerdings – wenn ihr Vater mit ihm bereits über diese Schriften diskutiert hatte?
„Ich wollte lediglich wissen, ob Ihr der Dokumente oder deren Inhalt wegen gekommen seid“, erwiderte Signore Benetti in einem Ton, der sie an den beschwichtigenden Tonfall in der Stimme ihres Vaters erinnerte, wenn sie aufgeregt zu ihm gekommen war und er sie liebevoll wieder in ruhigere Gewässer steuerte.
Warum in aller Welt überkam sie gerade jetzt das beinahe unerträgliche Gefühl der Sehnsucht nach starken Armen, die sie festhielten? Vorsichtig schaute sie zu Signore Benetti hinüber. Der sah sie noch immer fragend an.
Verblüfft stellte sie fest, dass ihr Gastgeber eine unergründliche Faszination auf sie ausübte. Seine ruhigen grauen Augen, sein gut geschnittenes Gesicht und seine schlanke Gestalt waren nicht ohne Eindruck auf sie geblieben. Es störte sie keinesfalls, dass er um so viel älter war als sie. Seine Persönlichkeit und seine männliche, selbstbewusste Ausstrahlung hatten sie in ihren Bann gezogen.
Eine zarte Röte huschte über ihr Gesicht, sobald er sie ansah. Jetzt zum Beispiel.
„Nun, schließlich kommt es ja nicht in jeder adeligen Familie vor, dass eine Frau als Hexe verbrannt wurde“, bemühte sie sich, das Gespräch dort zu führen, wo es angelegt war.
„Sie wurde nicht verbrannt, weil sie eine Hexe war“, korrigierte Signore Benetti sie zu Maries Überraschung. „Sie
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