Die Rose von Angelâme (German Edition)
Jahrhunderten schützten.“ Er hielt einen Augenblick lang inne.
„Die Verse sind in dieser Mappe?“, fragte Julien, sichtlich erregt.
„Ja“, bestätigte Benetti. „Die Verse wohl. Verstehen wird sie jedoch nur, für wen sie bestimmt sind.“
„Ich kann es ja mal versuchen.“
Benetti lächelte bedeutungsvoll.
„Versuchen Sie es.“
„So wurden irgendwann einmal neun Teile eines Geheimnisses hier in diesem Archiv aufbewahrt. Denn, so habt Ihr vorhin erzählt, es gab in früheren Zeiten neun Eingeweihte, von denen jeder nur ein Neuntel der Prophezeiung kannte.“
„Nein, es sind nur sieben Teile hier archiviert. Die anderen beiden sind verschwunden.“
„Ich nehme an, zur Lösung sind sie unabdingbar?“
„Richtig.“
„Es war ohne dieses ganze Verwirrspiel einfacher zu leben“, sagte Marie leise.
„Ihr wolltet das Rätsel lösen“, erinnerte Benetti. „Gibt es noch Fragen, bei deren Beantwortung ich Euch behilflich sein kann?“
„Was bedeutet die Farbe Rot?“, fragte Marie nach einer kleinen Pause.
„Die Farbe der Rosen. Die Farbe des Todes. Die Farbe der Könige. Die Farbe des Papstes, der um das Geheimnis wusste. Die Farbe des Krieges.“ Er sah von Marie zu Julien. „Die Farbe des Kreuzes.“
„Des Kreuzes? So ein Unsinn! Gütiger Himmel, ist das kompliziert!“, rief Marie.
„Da wäre noch mein Vater“, ließ Julien sich vernehmen. „Er hat das Bild übermalt, eine Menge Symbole darin versteckt und eine Warnung an mich. Also muss er auch etwas mit der ganzen Sache zu tun gehabt haben.“
„Euer Vater? Nun, Ihr seid doch sonst so ein heller Kopf, junger Mann.“
„Wollt Ihr andeuten, mein Vater gehörte zum selben Geheimbund wie der Comte?“
„Möglich.“
Julien schwieg betroffen. In Gedanken versunken schaute er vor sich hin. Möglich.
„Dieses Gemälde der Rose - zum Glück hat es den Brand überlebt“, sagte Marie und wischte eine vorwitzige Haarlocke aus der Stirn. Sie hatte dem Gespräch der beiden Männer nur mit halbem Ohr zugehört. „Ich habe Euch die beiden Bilder mitgebracht, Signore, und möchte, dass Ihr sie hier aufbewahrt.“
„Warum?“
„Damit ihnen nichts geschieht.“
Signore Benetti schüttelte den Kopf.
„Nur das Bildnis Eures Ahnherrn werde ich hier aufbewahren. Das andere bringt an seinen Platz zurück.“
Marie lachte leise.
„So haben wir das Rätsel gelöst und doch nicht gelöst“, sinnierte sie.
„Auch das ist richtig. Die Zeit wird es lösen, verlasst Euch drauf.“
„Wer eingeweiht ist, wird verstehen“, murmelte Julien und sah sie an.
Es entstand ein langes Schweigen, das nur durch das Summen einer Biene gestört wurde, die versuchte, durch ein offenes Fenster zu fliehen. Signore Benetti erhob sich, um sie hinauszulassen.
„Mein Vater ist auf sehr eigenartige Weise – sagen wir: verschwunden“, begann der junge Mann, Gedanken auszusprechen, die ihn seit einigen Minuten beschäftigten. Er erzählte von seinem Erlebnis in Tours, und ihr Gastgeber hörte ihm aufmerksam zu.
„Die Herren, die Euch dort verhörten, Monsieur, gehören nicht der Bruderschaft Saint-Germain-des-Prés an. Sie hatten ganz bestimmt ein anderes Interesse als Euer Wohl: die Verse, die sie nicht kennen. Sie müssen gewusst haben, dass Ihr Vater“, er wandte sich an Marie „… Schriftstücke von hier angefordert hatte. Irgendjemand scheint ihnen verraten zu haben, dass Ihr an der Übersetzung eines Textes arbeitet, der mit diesen Versen in Verbindung stehen könnte, und wollte diese Texte haben. Um einen Diebstahl zu vertuschen, ließen sie das Arbeitszimmer auf dem Schloss in Flammen aufgehen.“
„Das wisst Ihr oder das vermutet Ihr?“, wollte Julien wissen.
„Ich denke, es ist eine logische Schlussfolgerung.“
„Honoré! Ich sollte Honoré sofort entlassen!“, beschloss Marie wütend.
„Das ist nicht notwendig“, warf ihr Gastgeber ein. „Honoré hat das Schloss verlassen, nachdem Ihr und Eure Begleiter losgeritten waren.“
„Woher wisst Ihr das?“
„Oh, ich habe meine Informanten.“
„Warum nur hat mein Vater ihn nicht längst entlassen? Er wusste doch, dass er den Fuchs im Hühnerstall aufgezogen hatte!“
„So lange er nur so eine Art Beobachtungsposten innehatte, war Honoré kein Problem. Er war Euch und Eurem Vater überaus treu ergeben. Aber im Ernstfall vertrat er eben die Interessen der anderen Seite, und Euer Vater dachte sich zu Recht, es wäre besser, ihn ständig in seiner Nähe und somit im Auge zu
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