Die Rose von Angelâme (German Edition)
Juden“, bestätigte Signore Benetti. „Sie mussten allerdings in einer Art Getto leben. Manche lebten dort ganz gut, die meisten allerdings weniger. Niemand mochte sie sonderlich. Sie waren ständigen Schikanen und Verfolgungen ausgesetzt. Während der Herrschaft von Philipp dem Schönen wurden sogar Hunderte von ihnen umgebracht, weil der König dringend ihr Geld brauchte.“
„Und die Diamanten?“
„Und die Diamanten.“
Marie starrte ihn so lange an, bis ihr bewusst wurde, dass sich das nicht gehörte. Sie senkte beschämt den Blick.
Nach einer endlos scheinenden Zeit räusperte sich Julien und sagte:
„Um auf das Thema zurückzukommen: Warum wurden die Gerichtsprotokolle hier aufbewahrt und nicht in Angelâme?“ Einen Augenblick lang schwieg der Verwalter. Dann antwortete er: „Weil Simon sie sich über einen Mittelsmann beschafft hatte. Er musste sicherstellen, dass sie niemals verloren gingen.“
Marie hatte erneut den Atem angehalten. Auch Julien schaute den Gastgeber mit staunendem Interesse an. Schließlich brach Marie das Schweigen und fragte leise:
„Warum? Das Gut gehörte doch ihm und nicht den Angelâmes. Er war bestenfalls mit dieser Familie befreundet.“
„Verzeiht, aber hier versteht Ihr etwas nicht richtig. Diese Freundschaft war allen Beteiligten mehr als heilig. Ihr habt diesem Manne, diesem Simon, im Grunde genommen Euer Leben zu verdanken.“
„Wir sprechen von einem Mann, der Anfang des vierzehnten Jahrhunderts gelebt hat!”, rief Marie aus, die nicht wusste, was sie von dieser neuerlichen Offenbarung zu halten hatte.
„Ich werde Euch erzählen, was damals geschah.“
Marie schwieg betroffen, als Signore Benetti die Geschichte des Juden Simon und der Rose von Angelâme beendete, wie er es sich aus den Schriftstücken zusammengereimt hatte, die ihm vorlagen. Auch Julien war vollkommen in Gedanken versunken. Selbst Signore Benetti saß noch lange Zeit wortlos am Tisch. Man hätte meinen können, er hätte während seines Berichts die Zeit zurückgedreht, und alle drei hätten Schwierigkeiten, wieder in die Gegenwart zurückzukommen.
„Die Prophezeiung der Roten Frau, deretwegen Rose letztendlich starb, Signore, wo finde ich die?“, erinnerte sich Julien nach geraumer Zeit an eine Frage, die ihn beschäftigte. Er wollte die übrigen angesprochenen Themen später in aller Ruhe durchdenken.
„Ihr habt sie bereits gefunden“, antwortete der Signore geheimnisvoll.
„Ich kann mich nicht entsinnen.“ Julien blätterte einige der dünnen Seiten durch.
„Sie liegt vor Euch, Monsieur, in den Euch bislang fehlenden Unterlagen des Prozesses um Rose.“
„Ich dachte, Rose hat sie nie preisgegeben?“
„Rose nicht, nein. Allerdings hat sie mit ihren letzten Worten dem Dominikaner sehr viel verraten. Er hat es nur nicht verstanden und deshalb auch niemals gefunden, was er so lange vergeblich gesucht hat.“
„Woher wisst Ihr das?“, fragte Marie und räusperte sich, weil ihr Hals völlig ausgetrocknet war.
„Pierre de Mézeray, der diese Unterlagen damals hierher gebracht hat, unterhielt sich lange mit meinem Vorfahren über die Hinrichtung der Rose von Angelâme, weil es ihn sehr betroffen gemacht hatte. Er war dort, als sie auf dem Scheiterhaufen sterben musste, und hat ihre Worte gehört. Mein Urahn hat alles schriftlich festgehalten, was Pierre ihm erzählt hat und diesen Dokumenten beigefügt.“
Er zeigte auf die dicke Ledermappe, die vor Julien lag.
„Wenn Rose die Prophezeiung während der Verhöre nicht verraten hat, woher kennt Ihr sie und wer hat gesagt, dass sie in diesen Protokollen zu finden sein würde?“, hakte Julien nach.
„Ihr dürft davon ausgehen, dass ich diese Protokolle sehr gut kenne. Natürlich auch den Teil, der sich in Eurem Gewahrsam befand, Demoiselle“, antwortete der Signore, an Marie gewandt. „Euer Vater hat nicht umsonst Kopien anfertigen lassen, die hier verblieben sind.“
„Er wollte, dass Sie deren Inhalt kennen.“
Signore Benetti nickte.
„Rose hat meiner Kenntnis nach dem Vater , also Papst Bonifazius VIII, den Wortlaut der Prophezeiung zukommen lassen“, fuhr er fort. „Der Überbringer war ein Mitglied des Ordens der Templer. Arnaud Montgelas, der damalige Großmeister einer Bruderschaft von Saint-Germain-des-Prés, ließ die Mitteilung abfangen und kopieren und dann an seine Brüder weitergeben. An die Eingeweihten also, die das Haus Angelâme und sein Geheimnis in Form dieser prophetischen Verse seit
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