Die Rose von Angelâme (German Edition)
einzuschätzen und winkte nach einem Krug Wasser, der in einer Nische stand. Er hatte verständlicherweise keine Lust, sich das Erbrochene einer Schwangeren anzusehen, welches sich vermutlich in absehbarer Zeit vor ihm auf dem Boden befinden würde.
Rose trank ein paar vorsichtige Schlucke aus einem Becher, den man für sie gefüllt hatte. Die Übelkeit ließ nach, nicht aber der Kopfschmerz und das Ziehen in ihrem Rücken.
„Habt Ihr sonst nichts zu tun als Weibergeschwätz Gehör zu schenken und mich mit diesem Unsinn zu belästigen? Was habe ich mit dem allem zu schaffen?“, warf die Comtesse ihm nach der kurzen Unterbrechung vor. Sie wischte sich den Mund mit ihrem Ärmel ab, nachdem sie den Becher leer getrunken hatte.
„Das werdet Ihr noch früh genug erfahren“, zischte der Richter und seine schwarzen, lauernden Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden. „Verlasst Euch drauf!“
Rose hatte ihre Fassung wieder gewonnen. Es konnte doch nicht sein, dass hier zwölf Männer saßen, die alle den seltsamen Ausführungen dieses Geistesgestörten folgten?
Sie sollte sich gewaltig irren.
So fand sie sich kurz darauf in einem unterirdischen Verließ wieder, in das man sie grob gestoßen und dessen schwere Holztür man sofort hinter ihr geschlossen hatte. Das sei zu ihrer Läuterung notwendig, hatte der Richter befunden, und würde auch nur so lange dauern, bis ein Vertreter der Kirche sich ihrer annähme.
Rose stieg, sich mit den Händen an der Wand entlang tastend, eine steile Treppe hinunter, die irgendwo im Dunkeln endete. Sie verstand nicht, weshalb man sie eingesperrt hatte, wo sie ursprünglich als Zeugin geladen war. Eine teuflische Falle, das wurde ihr allmählich klar. Sie hatten es auf sie, und nicht auf Agnès oder ihre Mutter abgesehen. Allerdings erschloss sich ihr auch bei weiterem Nachdenken in ihrem pochenden Kopfschmerz nicht, warum.
Die Comtesse glaubte zunächst, allein in dem finsteren, stinkenden Loch zu sein, bis eine knochentrockene, keuchende Stimme aus dem Dunkel ihr das Blut in den Adern gerinnen ließ.
„Nun, mein Täubchen, was hast du denn ausgefressen?“
Rose erstarrte. Sie war unfähig zu antworten. Der Kopfschmerz verschwand hinter lähmendem Entsetzen. Was tat man ihr an und warum?
Es raschelte irgendwo in der Zelle und die junge Frau versuchte angestrengt, im undurchdringlichen Dunkel des Verlieses etwas zu erkennen. Vergeblich.
Jemand ergriff ihre Hand, und Rose schrie entsetzt auf.
„Daran gewöhnst du dich“, schnarrte die Stimme im Dunkeln.
„Woran?“, fragte Rose zitternd.
„An alles hier“, war die vage Antwort.
„Wer bist du?“
„Oh, hier unten ist jeder, was man aus ihm gemacht hat, das ist ohne Bedeutung.“
Rose schwieg. Der beißende Geruch nach Urin, Kot, Fäulnis und Verwesung nahm ihr den Atem, und sie rang nach Luft.
„Sie werden bald für eine Zeit lang den Holzladen da oben aufmachen, damit wir nicht ersticken“, sagte die Stimme kichernd. „Als ob das was nützte.“
„Ich möchte gehen“, wagte Rose schwach, ihre unheimliche Beklemmung in Worte zu fassen. Der Schmerz in Kopf und Leib hatte nachgelassen, aber der in ihrer Seele brannte wie Feuer. „Ich wurde als Zeugin hergebracht.“
„Gehen? Das möchten wir alle, mein Täubchen“, kam die Antwort. „Aber ich fürchte, diesen Wunsch wirst du nur in deinem edlen Busen hegen, solange du die Tür dort oben noch nicht wieder durchschritten hast.“
Wieder hörte Rose dieses irre Kichern.
„Was meinst du damit?“, fragte sie zögernd.
„Dass niemand, der nach oben geholt wurde, sich danach jemals wünschte, woanders zu sein als in diesem gottverdammten Loch.“
„Ich wurde als Zeugin hergebracht“, wagte sie einen erneuten Versuch. Dann sank sie ohnmächtig auf das verfaulte Stroh.
Als sie die Augen wieder öffnete, wusste Rose zunächst nicht, wo sie war, und als ihr Verstand wieder einigermaßen klar arbeitete, hoffte sie, die Erinnerung an die jüngste Vergangenheit sei nur ein böser Traum gewesen. Aber die junge Frau begriff sehr schnell, dass sie sich noch immer in dem finsteren Loch befand, in das man sie geworfen hatte.
Man hatte das am Ende des seltsamen Gesprächs damit begründet, sie in Ruhe nachdenken zu lassen.
Eine kalte, klebrige Hand streichelte ihr Gesicht, und der Gestank faulender Zähne streifte ihre Nase, die sich noch immer nicht an die stickige Luft gewöhnt hatte. Jemand sang leise und mit krächzender Stimme ein Wiegenlied.
„So, meine
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