Die Rose von Angelâme (German Edition)
Liebe, bist du wieder bei Sinnen?“
Rose nickte. Ihr war elend, der Magen schien sich umzudrehen. Sie wandte sich kraftlos zur Seite und übergab sich.
„Na, das haben wir ja gern“, krähte die Stimme neben ihr. „Versaut das Luder den ganzen Fußboden!“
„Ich lasse das wieder wegmachen“, hauchte Rose schwach.
„Oh, Hochwohlgeboren lassen sauber machen!“, nuschelte die Frau über ihr. „Hör mir gut zu, mein Täubchen. Hier unten sind alle gleich, und welche Sauerei du auch immer anrichtest: Sie wird bleiben, bis dereinst dieses Gewölbe in sich zusammenstürzt und den Unrat unter sich begräbt, den Hunderte von armen Schweinen in vielen Jahren hinterlassen haben.“
„Verzeih“, versuchte Rose sich zu entschuldigen, als eine erneute Welle der Übelkeit ihren Körper erfasste und den restlichen Inhalt ihres Magens auf das nasse Stroh beförderte.
„Ich bin Regis“, sagte die Stimme ihrer Zellengenossin ungerührt. „Wer bist du?“
Rose schnappte nach Luft. Die hochgekommene Säure brannte wie Feuer in ihrem Hals, und sie hätte etwas um einen Schluck lauwarmen Wassers gegeben, um ihre gereizte Kehle zu beruhigen. Ein Hustenanfall schüttelte sie, dass sie glaubte, ersticken zu müssen. Schließlich beruhigte sich ihr Körper, und sie blieb eine Zeit lang nur ruhig liegen. Der Schmerz raste erneut in ihrem Kopf. Sie musste unbedingt etwas trinken.
„Rose“, antwortete sie leise.
„Rose. Was für ein wunderschöner Name in einer Welt ohne Licht und Sonnenschein“, krächzte Regis. Rose spürte, wie der Körper der Alten, auf dem sie halb zu liegen gekommen war, sich unter ihr bewegte. „Du wirst für meine alten Knochen zu schwer, edle Dame.“ Regis bettete Roses Kopf vorsichtig auf ihren Schoß. „So ist es gut.“
Ihre Zellengenossin begann wieder, leise vor sich hinzusingen, und Rose bemühte sich, nur flach zu atmen, um einen erneuten Hustenanfall zu unterdrücken.
„Du bist bestimmt wunderschön“, hörte sie Regis sagen, die ihren Singsang unterbrochen hatte.
„Wie kommst du darauf?“
„Oh, ich denke es mir einfach. Dem feinen Stoff deiner Kleidung nach zu urteilen stammst du aus vornehmem Hause. Ich muss mich doch sehr darüber wundern, dass eine wie du hier landet. Hier, beim Abschaum der Menschheit!“ Das krähende Lachen der Alten trieb Rose Tränen in die Augen. Sie fühlte sich verlassener als jemals zuvor.
„Ich weiß nicht, weshalb man mich in dieses Loch gesteckt hat“, schluchzte sie. „Ich bin als Zeugin gekommen. Sie sagten, ich solle in Ruhe nachdenken. Ich denke aber, sie haben mich angelogen.“
„Das ist böse“, pflichtete Regis ihr bei. „Das ist sehr, sehr böse.“
Rose versank wieder in das gnadenvolle Dämmerlicht der Bewusstlosigkeit, aus der sie erst erwachte, als mit lautem Knall ein hölzerner Laden aufflog, der ein kleines Fensterloch hoch oben in der Mauer verschlossen hatte. Ein matter Lichtstrahl fiel herein und tauchte das Verlies in ein dämmriges, unwirkliches Licht.
Ein Blick in das Gesicht ihrer Zellengenossin ließ Rose erneut einer Ohnmacht nahe kommen. Regis’ Gesicht hatte keine Farbe mehr. Ihre blinden Augen lagen weiß und unheimlich in den geisterhaften Höhlen. Der Kopf war vollkommen kahl und glich mehr einem Totenschädel als dem Kopf einer Frau, wie alt sie auch sein mochte. Regis’ Gestalt, die zusammengekauert mitten auf dem feuchten, klebrigen, stinkenden Zeug in der Zelle hockte, das irgendwann einmal Stroh gewesen sein mochte, schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen, die notdürftig mit ein paar verfaulten Fetzen Stoff behängt waren. Allerdings ließ sich schwerlich feststellen, wo die Haut aufhörte und der Stoff anfing, da der ganze Körper mit Dreckkrusten übersät war, zwischen denen Rose eine Unzahl schwärender und eiternder Wunden erkannte. Sie hatten wohl einen guten Anteil an der ekelerregenden Luft, die hier herrschte.
„Es ist kühl draußen“, sagte die Frau und hob schnüffelnd den Kopf. „Das ist gut. Dann kommt ein wenig frische Luft bis zu uns herunter. Allerdings wird es dabei auch empfindlich kalt - aber bedenklich wird das nur im Winter“, fügte sie schnell hinzu, als sie merkte, wie Roses Körper unter leisem Schluchzen erbebte.
„Noch kälter?“
Rose stand langsam auf und lehnte sich an die feuchten, schimmeligen Steine, die ihr Gefängnis umgaben. Sie schien sich in einem runden Schacht oder am Fuß eines Wehrturms zu befinden, in das nur die schmale Steintreppe
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