Die Rose von Angelâme (German Edition)
aufrecht.
Der schwarz Gekleidete, wohl ein Richter, sah nicht einmal auf, als sie hereingeführt wurde. Nur der Schreiber warf einen flüchtigen Blick in ihre Richtung, bevor er sich wieder seiner kratzenden Beschäftigung widmete.
„Es ist Haftbefehl gegen dich erlassen worden“, sagte der mutmaßliche Richter und fasste Rose plötzlich scharf ins Auge, „weil dir verschiedene Dinge vorgeworfen werden, die hier geklärt werden sollen.“
„Wo ist mein Mann?“, fragte Rose, die immer noch glaubte, das Ende ihrer Zeit in diesem Gebäude sei gekommen.
Der Richter sah sie forschend an.
„Es ist dir nicht erlaubt, ohne meine Einwilligung zu sprechen!“, fuhr er sie an. „Du bist hier nicht mehr die Herrin von Angelâme, du bist eine Delinquentin wie jede andere auch!“
„Delinquentin? Wo ist mein Mann, wo ist mein Oheim?“
„Ich warne dich ein letztes Mal! Wenn du noch einmal den Mund auftust, ohne dass ich dich dazu aufgefordert hätte, lasse ich dich wieder in deine Zelle zurückbringen!“
„Wo ist der Richter, mit dem ich bereits gesprochen habe?“
Rose schaute sich nach einer Sitzgelegenheit um.
„Hol ihr einen Hocker!“, fuhr der Richter den Schreiber an, der zunächst etwas offenbar sehr Wichtiges endlos lange zu Ende schrieb und sich dann schwerfällig erhob. Mit einem wütenden Seitenblick auf Rose ging er an ihr vorbei hinaus, um ihr kurz darauf einen hölzernen dreibeinigen Schemel so hart in die Kniekehle zu stoßen, dass sie beinahe rückwärts gefallen wäre.
Ächzend setzte er sich an seinen Tisch, tauchte seine Feder in ein verschmiertes Gefäß und befasste sich wieder mit seinen Schreibarbeiten.
„Ich habe nichts gegessen“, wandte sich Rose an den Richter.
„Das ist nicht meine Sache. Soweit ich weiß, werden die Gefangenen hier einmal am Tag mit Essen versorgt.“ Er musterte sie abschätzend.
„Es ist ein gottserbärmlicher, ungenießbarer Fraß, den man nicht einmal einem Schwein vorsetzen würde!“
Schwindel erfasste Rose.
„Es mag nicht die Küche sein, die du gewohnt bist, Weib, aber es reicht, dass ihr Gesindel nicht verhungert!“, gab der Richter ungerührt zurück und strich ein paar Blätter Pergament glatt, die er vor sich ausgebreitet hatte. „Jetzt halt den Mund und öffne ihn erst wieder, wenn ich dich etwas frage!“
Im Laufe der kommenden Stunden hatte Rose ausgiebig Gelegenheit die Erfahrung zu machen, was es bedeutete, in die Fänge der Justiz geraten zu sein. Als sie schließlich wieder auf dem Weg zu ihrer Zelle war, hoffte sie nur noch inbrünstig, Regis würde ihren Kopf auf den Schoß betten und jene wundersamen Lieder anstimmen, mit denen ihre Zellengenossin sie immer wieder zu beruhigen versucht hatte. Rose fühlte sich zerschlagen und elend. Kopf und Leib schmerzten und Durst ließ ihre Kehle brennen.
„Regis?“ Rose tastete sich im Halbdunkel zuerst die Treppe hinunter und dann nach der Freundin.
Ein zaghaftes Wimmern war die Antwort.
„Regis!“ Rose hatte den knochigen Körper entdeckt, der zusammengekrümmt an der Wand lag. „Um Gottes Willen, was ist denn geschehen?“
Aber Regis konnte nicht mehr antworten. Die zerlumpte Alte, die sich niemals über ihre desolate Situation beschwert, noch jemals verraten hatte, weshalb und wie lange sie sich an diesem grausigen Ort befand, hauchte ihr bisschen Leben in den Armen der schönen Comtesse von Angelâme aus. Die wiegte sie noch lange, nachdem sie bereits tot war, wie ein Kind in den Armen und sang Wiegenlieder.
Erst, als man ihr den üblichen stinkenden Fraß hereinreichte, ließ sie den leblosen, federleichten Körper zur Seite gleiten und sah, was geschehen war: Einer der Wärter, die sie abholten, hatte sie vermutlich geschlagen oder gestoßen, und ihr dabei einige der morschen alten Knochen gebrochen. Die hatten die dünne Haut durchstoßen und den geschundenen Körper verbluten lassen.
Rose hatte keine Tränen mehr. Sie rollte sich auf dem nassen Stroh zusammen und hoffte, dieser Spuk ginge bald zu Ende, ganz gleich wie.
Der Tag steht bevor, an dem das Wort sich erfüllt und an welchem der Rosenstock in Blüte steht, der vertrocknet am Wege stand, und seine Zweige werden Früchte tragen. An diesem GeheiligtenTage wird Mutter Erde, die seine Wurzeln genährt hat, laut aufjubeln und jene, die über die Zeiten niemals geendet haben, an dieses Wunder zu glauben, werden mit ihr jubeln und tanzen und lachen und zum Rosenstock laufen, sich seiner Blüten und Früchte zu
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