Die Rose von Angelâme (German Edition)
Silberhaarige halbherzig ein, und verhaltenes Lachen war die Antwort.
„Es ist nicht am Menschen, diejenigen zu verurteilen, die das Wort erfüllen, das seit Anbeginn geschrieben steht“, unterbrach Montgelas die hitzige Auseinandersetzung. „Es liegt bei dem, der gemartert und gekreuzigt wurde, und in dessen Händen Anfang und Ende liegen. Mein ist die Rache, spricht der Herr.“
Als die Brüder ihm zustimmten, wagte er noch die Frage, die er bislang niemals vor anderen gestellt hatte. Mit diesem Gedanken, der ihm seit Längerem durch den Kopf ging, machte er sich mit Sicherheit der Ketzerei schuldig:
„War Jesus ein Jude oder ein Christ? Liefern die Männer der Inquisition in ihrem Wahn nicht gnadenlos Menschen jenes Geschlechts an die Justiz aus, von dem der Herr sagte, es sei sein auserwähltes Volk?“
Montgelas klagte das unheilvolle Blutbad an, welches jeder Kreuzzug im Namen des Herrn unter den Menschen in Jerusalem, im ganzen Heiligen Land und den angrenzenden Reichen angerichtet hatte.
Wirklich im Namen Gottes, des Allmächtigen, oder nur zum Ruhme und Ansehen derer, die diese Kreuzzüge veranlasst oder angeführt hatten?
Der alte Mann sprach über seine zunehmende Besorgnis um das Seelenheil der Ritter und seine wachsenden Zweifel darüber, welche Rolle dabei alle die Orden spielten, die in der Überzeugung handelten, zum Wohl und mit dem Segen des Herrn in den Krieg gegen Heiden und Juden gezogen zu sein.
Welches Herrn?
Waren sie nicht ursprünglich nur zum Schutz der Pilgerzüge vorgesehen gewesen, die zu den Heiligen Stätten aufgebrochen waren? Wie konnte es nur geschehen, dass daraus im Laufe der Zeit grausame, gnadenlose Kriege entstanden waren?
Die Päpste der Vergangenheit hatten den Rittern der verschiedenen Orden vor ihrem Aufbruch zu den Kreuzzügen im Namen der Christenheit sogar Absolution für alle begangenen und noch zu begehenden Verfehlungen gegen die Zehn Gebote gewährt. Was für ein Widersinn!
Der alte Mann hatte sichtlich gegen ein körperliches Unwohlsein angekämpft, das ihn während seiner Rede überkam. Schließlich brachte er seine Erleichterung darüber zum Ausdruck, sich endlich mit seinen Gedanken nicht mehr allein befassen zu müssen. Er ließ seine Brüder zum Abschluss wissen, dass er sich darüber im Klaren sei, in diesem Leben keine eindeutigen Antworten auf seine Fragen zu bekommen.
„Bedeutet das alles, dass Ihr der Meinung seid, die Templer haben Unrecht getan mit ihrem Handeln, und eine Bestrafung sei nur rechtens?“, wollte einer aus der Runde stirnrunzelnd wissen.
„Es obliegt mir nicht, darüber zu urteilen, Bruder. Es sind nur meine Gedanken zum Lauf der Dinge“, gab Montgelas zurück. Er war sichtlich erschöpft und wischte sich müde mit seinen gichtigen Händen übers Gesicht. „So, wie de Nogaret dem armen Bonifatius zumindest einen Teil seines Geheimnisses aus dem alten Gehirn geprügelt hat, so werden die Inquisitoren es mit denen machen, die ihnen ausgeliefert sind. Sie werden ihre Güter an sich reißen und unter sich aufteilen wie einst die Soldaten unter dem Kreuz es mit Jesu Gewändern gemacht haben, und sie werden die unsinnigen Aussagen der Gefolterten gegen die Ritter des Templerordens verwenden. Eines Tages werden sie glauben, den Grund dafür in Händen halten, das Lehen derer zu Angelâme beschlagnahmen und bis auf den letzten Krumen umgraben zu können. Die einen, weil sie nach dem Reichtum lechzen, den sie dort zu finden glauben, die anderen, um den Heiligen Gral zu heben und für sich zu nutzen.“ Seine Stimme versagte beinahe. „Aber sie kennen nicht das wahre Geheimnis“, fügte er zufrieden lächelnd hinzu.
Die Dinge waren schneller vonstattengegangen als Pierre gedacht hatte. Inzwischen war er über die heimlichen Pläne des Königs und seines Großsiegelbewahrers besser informiert. Er konnte sich auch allmählich zusammenreimen, was geschehen würde, wenn diese beiden Männer ihre Ziele weiterhin so verbissen verfolgten, wie sie es bisher getan hatten.
Erschrocken hatte er herausgefunden, dass de Molay nach Frankreich gekommen war und beim Papst vorgesprochen hatte. Er ahnte, dass der Großmeister damit in eine Falle geraten sein musste.
Pierre war sich mehr als sicher, dass Philipp sich vorgenommen hatte, den Orden der Templer aus purer Gier nach Geld und Macht zu vernichten. Nur wusste der junge Mann nichts darüber, was sich dahinter außerdem verbarg wie ein Ungeheuer, das sich im Finstern auf die Lauer
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