Die Rose von Asturien
folgten, weil sie Hunger hatten, und nicht, weil sie ihn fürchteten.
10.
N
ach dem Abrücken des Hauptheers herrschte in Iruñea eine gewisse Erleichterung. Zwar stand Markgraf Roland mit einer kampfstarken Truppe in der Stadt, doch die Bewohner hofften, nun würde es leichter für sie. Da sie wussten, dass ihre Stadt ohne schützende Mauer ein leichtes Ziel für plündernde Heere sein würde, ließ ihr Eifer merklich nach. Die meisten waren überzeugt, die Franken zögen bald ab, und richteten sich darauf ein, die Befestigungsanlagen rasch wieder aufzubauen.
Die Bewohner hatten jedoch nicht mit Rolands Beharrlichkeit gerechnet. Was er sich vornahm, führte er aus, und als er merkte, dass viele nur noch so taten, als trügen sie ihre Stadtmauer ab, stellte er alle zehn Schritte Wachen auf und ließ Krieger mit langen Peitschen durch die Reihen gehen, um den Arbeitseifer der Einheimischen anzuspornen. Bald erklang überall ihr scharfer Knall, gefolgt von schmerzerfüllten Schreien, und hinter vorgehaltener Hand wurden Roland und seine Franken inbrünstig zur Hölle gewünscht.
Graf Enekos Zorn wuchs ebenfalls, denn Roland ließ ihn einsperren und von seinen Bretonen bewachen, so dass er nur über treue Bedienstete Kontakt mit seinen Leuten aufnehmen konnte. Mit hasserfüllten Blicken starrte er auf das Lager derFranken hinab. Nachdem König Karls Hauptmacht abgezogen war, wirkte es beinahe verlassen. Doch die Krieger, die mit Roland zurückgeblieben waren, waren zu zahlreich, um einen direkten Angriff auf sie wagen zu können. Selbst wenn er dabei siegreich blieb, würden seine Verluste ihn die führende Stellung in Nafarroa kosten.
»Orreaga!« Eneko sprach den Namen des kleinen waskonischen Dorfes, hinter dem eine große Schlucht und einer der wichtigsten Pässe lagen, voller Inbrunst aus. An diesem tiefen Einschnitt, der von den Asturiern Roncesvalles genannt wurde, würde sich das Schicksal der Franken entscheiden.
11.
R
oland brannte die Zeit unter den Nägeln. Wenn er sich zu lange in Spanien aufhielt, würde er nicht zu König Karl aufschließen können, bevor dieser die Sachsengaue erreichte. Daher trieb er den Abbau der Stadtmauer mit harter Hand voran und ließ auch die Hälfte seiner Krieger mitarbeiten. Die andere Hälfte benötigte er, um die zwangsverpflichteten Einwohner zu bewachen.
Konrad gehörte ebenfalls zu den Wächtern und hatte die Aufsicht über ein Teilstück des Mauerrings übertragen bekommen. Für diese Aufgabe war er Roland dankbar, denn sie lenkte ihn von seinem Ärger über Ermengildas Weigerung ab, mit ihm zu fliehen.
Seinem Freund ging es weniger gut. Philiberts Wunde hatte sich wieder entzündet, und er wurde von Tag zu Tag schwächer. Zudem litt er stark unter Ermengildas Zurückweisung. Seit er der Asturierin seine Hilfe angeboten hatte, war er ihr aus dem Weg gegangen, doch er musste ununterbrochen an sie denken. Für diese Frau hatte er seine Heimat verraten unddem König die Treue aufsagen wollen, und nun kämpfte er mit dem Gefühl, ihr nicht gut genug gewesen zu sein.
Auch für Konrad, den ähnliche Gefühle bewegten, war es schier unerträglich, Ermengilda auch nur von ferne zu sehen. Er liebte seine Eltern und seinen Bruder und hing an seinem Dorf. Dennoch hatte er alles aufgeben wollen, um ihr zu helfen. Jetzt sehnte er sich nach bekannten Gesichtern und bedauerte, nicht mehr zu Gaugraf Hassos Aufgebot zu zählen, das bereits Richtung Heimat marschierte. Stattdessen musste er sich mit renitenten Waskonen herumschlagen und hatte auch noch Ermo am Hals, der vom König als unfreier Knecht in die Nachhut gesteckt worden war. Der Mann tat zwar die Arbeit, die ihm aufgetragen wurde, doch sein Blick verriet, dass er Konrad die Schuld an seinem Schicksal gab.
Rado spürte den Hass des Mannes und versuchte, Konrad zu warnen. »Du solltest nicht zu nahe am Mauerrand stehen, solange Ermo in deiner Nähe ist!«
»Das werde ich auch nicht, und ich werde ihm auch nicht den Rücken zukehren. Er trägt zwar keine Waffe, aber eine Hacke oder ein Brecheisen können einem Mann ebenfalls den Schädel spalten.«
»Spalte den seinen! Er ist nur ein verurteilter Sklave, und niemand würde dich tadeln.«
Rados Vorschlag klang verlockend, denn Konrad kam ein Opfer, an dem er seine Enttäuschung und seine Wut über Ermengilda austoben konnte, gerade recht. Als er zum Schwert griff, erschien jedoch das Gesicht seines Vaters vor seinem inneren Auge. Es wirkte beherrscht und auch
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