Die Rose von Asturien
überzeugt, dass Ermengilda nicht so viel für den jungen Franken empfand, wie sie vorgab. Ihre Freundin hatte Philibert geliebt, doch da dieser tot war, sah sie nun Konrad als ihren Beschützer an.
Konrad ist ganz gewiss nicht schlechter als Philibert, wahrscheinlich sogar zuverlässiger und ein besserer Krieger, dachte sie mit einem Anflug von Neid. Dann aber konzentrierte sie sich darauf, was sie Konrad mitteilen musste. »Ermengilda denkt Tag für Tag nur an Flucht! Doch es scheint keine Möglichkeit zu geben, es sei denn, du findest eine. Schließlich kannst du im Gegensatz zu uns danach suchen. Sie setzt all ihre Hoffnung auf dich!« Maite starb beinahe vor Angst, außer Konrad könnten auch andere ihre Worte hören. Doch Fadls Leute diskutierten noch immer, und Passanten wichen derSänfte in weitem Bogen aus, um sich nicht Fadl Ibn al Nafzis Zorn zuzuziehen.
»Vielleicht gibt es eine Möglichkeit!«, flüsterte Konrad erregt. Seine Antwort ließ Maites Herz schneller klopfen. Anscheinend hatte er sich nicht nur Gedanken über eine mögliche Flucht gemacht, sondern bereits konkrete Pläne geschmiedet. Am liebsten hätte sie ihn auf der Stelle ausgefragt. Da er aber schon stark unter der ungleich verteilten Last schwankte, setzte sie sich so, dass er möglichst wenig zu tragen hatte, und schloss die Augen. Sogleich begannen ihre Gedanken zu wirbeln wie ein Schwarm Schmetterlinge.
Wenn sie entkam, würde sie endlich mit Okin abrechnen können. Was danach sein würde, darüber wollte sie noch nicht nachdenken, auch wenn diese Frage wie ein Alpdruck in ihr aufstieg. Zuerst musste sie die Flucht vorbereiten, soweit es in ihrer Macht lag, und da durfte sie sich keinen Fehler leisten. Konrad hatte begriffen, dass er sie benötigte, um Ermengilda zu befreien, und das war der wichtigste Schritt. Weitergehende Pläne aber konnte sie erst schmieden, wenn sie mit diesem fränkischen Ochsen gesprochen hatte. Daher richtete sie ihre Gedanken auf ihre Heimat und stellte sich vor, durch die kühlen Wälder der Berge zu streifen. Schon bald würde sie deren würzigen Duft wieder riechen und den kühlen Wind, der von den Pyrenäen herabstrich, auf ihrer Haut spüren.
Vor allem aber würde sie Okin für alles bezahlen lassen, was er ihrem Vater und ihr angetan hatte, echote es in ihrem Kopf.
Doch als sie sich vorstellte, ihren Dolch in seine Brust zu stoßen, fröstelte sie trotz der Hitze, die in der von dichten Vorhängen verhängten Sänfte herrschte. Sie sah die Toten von Roncesvalles vor sich und fühlte wieder das Grauen, das sie dort überfallen hatte. Würde sie es tatsächlich über sich bringen, noch einmal einen Menschen zu töten? Aber wenn sie sichnicht an Okin rächen konnte, welchen Sinn hatte dann eine Flucht? Die Antwort gab sie sich gleich selbst: Sie wollte nicht tatenlos darauf warten, dass Fadl zurückkehrte und erneut über sie herfiel.
Auch sonst gab es Gründe genug. Sie wollte selbst bestimmen können, welchem Mann sie ihren Körper schenkte. Viel Auswahl gab es leider nicht. Um Okin zumindest seiner durch Verrat erschlichenen Stellung zu berauben, benötigte sie einen starken Verbündeten, und als Preis für die Hilfe konnte sie nur sich selbst und die Tatsache anbieten, dass in ihren Adern das Blut der alten Häuptlinge floss.
Möglicherweise würde sie Danel fragen müssen, ob er sie heiraten wolle. Zwar zählte er zu den Anhängern ihres Onkels, aber er würde die Gelegenheit, durch sie zum Häuptling des Stammes aufzusteigen und vielleicht auch Okins Platz in Nafarroa einzunehmen, gewiss nicht ausschlagen. Oder war es doch geschickter, sich mit Amets von Guizora zusammenzutun und einen von dessen Söhnen zu heiraten?
Als Maite in sich hineinhorchte, verspürte sie jedoch keinerlei Lust, ihre Freiheit als Frau zugunsten eines dieser Männer aufzugeben. Sie tröstete sich mit der Überlegung, dass das Leben selten das brachte, was der Mensch sich wünschte.
9.
E
s dauerte tatsächlich bis zum nächsten Morgen, bis Maite die Gelegenheit erhielt, mit Konrad zu reden. Er kam bereits kurz nach Sonnenaufgang in den Garten und machte sich an einer weiter entfernten Stelle zu schaffen. Während er Beet für Beet bearbeitete, näherte er sich scheinbar zufällig ihrem Fenster. Dabei achtete er streng darauf, nicht nach oben zu sehen, als wäre ihm dies verboten worden.
Während Maite beinahe vor Anspannung verging, bewunderte sie seine Geduld. Als er endlich nahe genug war, um sie zu verstehen,
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