Die Rose von Byzanz
hielt ihr einen halben, ausgefaserten Trockenfisch hin. Sie nahm ihn; der Hunger trieb’s ihr in den Magen, doch der Gestank war eher abschreckend. „Oluf sagt, wenn es weiter so schlechten Wind gibt, kommen wir vor Einbruch des Winters nur bis Kiew.“
Johanna kaute. „Ist Kiew schlimm?“
„Mein Freund Hallgrim ist dort, Olufs Bruder. Bei ihm könnten wir unterkommen, er ist Händler.“ Eirik überlegte. „Aber es wäre mir lieber, wir schafften es vor den Winterstürmen nach Uppsala.“
„Mir wäre es am liebsten, wir könnten mal wieder eine Nacht allein verbringen.“ Sie schmiegte sich an ihn und hielt die Kapuze fest, damit sie ihr nicht vom Kopf gerissen wurde. Einmal hatte sie erlebt, wie die Blicke der Männer auf ihrem roten Haar klebten, als ihr die Kapuze herunterrutschte. Obwohl sie ihr Haar inzwischen zu einem festen Zopf flocht und im Nacken zusammenrollte, schien das leuchtende Rot jeden Mann zu faszinieren. Keiner konnte wegschauen, und so mancher machte einen Schritt in ihre Richtung.
Eirik lächelte. „Ach, Feuermädchen. Da sollte man meinen, du hältst es mal ein paar Tage ohne mich aus …“
„Ohne dich sowieso nicht“, widersprach sie heftig. „Aber ich möchte …“
Ihr Finger malte Muster auf seine Brust.
Er umschloss sie mit seinen Armen.
„Du möchtest also eine Nacht frierend und nackt da draußen verbringen?“
„Wir müssen doch nicht die ganze Nacht!“, protestierte sie. „Außerdem müssen wir nicht nackt sein. Mir würde schon reichen, einfach wieder mit dir allein zu sein …“
Eirik lachte. „Ist das die Frau, die mir vor wenigen Wochen noch die Augen ausgekratzt hätte, wenn ich mich ihr näherte?“
„Das waren andere Zeiten“, erwiderte sie glücklich.
Und es stimmte ja: Seitdem war vieles passiert. Ihre Wut war langsam zur Ruhe gekommen, und in den zehn Tagen auf See hatte sich auch ihre Angst gelegt. Jeder Anflug von Panik wurde befriedet, wenn sie nur Eirik sah. Und in der Enge des Drachenboots war er kaum zu übersehen: groß, blondes Haar. Seine dunklen Augen suchten stets ihren Blick, sein Lächeln wusste sie zu beschwichtigen, sobald sie glaubte, die Angst nähme überhand.
Sie war frei.
Der Abend kam, und mit ihm frischte der Wind auf. Johanna beobachtete Oluf, der prüfend in den Himmel blickte und offenbar überlegte, ob er an diesem Tag den Wind nutzen und weiter segeln sollte als an anderen Tagen. Doch dann schüttelte er den Kopf, brüllte seine Anweisungen. Knarrend neigte sich das Boot, Planken erzitterten, ein unmenschliches Geräusch drang aus dem Schiffsrumpf. Wasser spritzte hoch über dem Bugspriet auf, als sie eine seichte Stelle am Ufer ansteuerten.
All das – die Männer, die mit Einsatz ihrer Körperkraft das riesige Schiff an Land zogen und dabei gut gelaunt lärmten, weil die Aussicht auf das Abendessen und ein paar Partien Würfeln ihre Laune hob – war für Johanna nicht mehr so ein entsetzlicher Lärm wie an den ersten Tagen, als sie sich noch furchtsam an die Wandung geklammert hatte und bei jedem Geräusch zusammengezuckt war. Sand und Kies knirschten unter dem Rumpf, dann neigte sich das Schiff leicht, wurde gesichert.
Erst jetzt erlaubten sie, dass auch Johanna das Schiff verließ. Wie jeden Abend half Eirik ihr nicht nur über die Wandung, sondern hob sie auch in seine Arme und trug sie die letzten Meter bis zum Strand. Die Männer, die an den ersten Abenden noch gegrölt hatten, das würden sie ja auch für Johanna tun, wenn sie es nur zuließe, kümmerten sich schon nicht mehr um ihren besonderen Passagier. Einige schwärmten um Feuerholz aus, andere luden die Säcke aus, in denen allmorgendlich alles Notwendige wieder verstaut wurde, das sie für das Nachtlager brauchten.
Nicht lange, und zwei muntere Feuerchen flackerten. Zwei Männer kamen von ihrem Erkundungsgang zurück, und der eine schwenkte stolz zwei Hasen, die er mit der Schleuder erlegt hatte. Johanna hockte auf einem Stein, hatte den Umhang eng um ihren Körper gezogen und wandte den Blick ab, als der Koch – Kjetil hieß er, Kjetil der Schwarze, wegen seines schwarzen Haars und dem dichten schwarzen Bart – sein Messer zückte, die Tiere häutete und geschickt zerlegte. Heute gab es ein Festmahl – zu der Gerstensuppe mit Zwiebeln und schrumpeligen Rüben bekam jeder ein Stück knusprig gebratenen Hasen, über offenem Feuer geröstet und nicht im dicken Eintopf versenkt.
Johanna umfasste die Schale. Nicht alles an den Nordmännern war
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