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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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Edler Blütenstutz, gut geformte Blätter, alles wohl proportioniert. Carl stand da wie angewurzelt.
    Gustav lachte. »Steck mal deine Nase rein!«
    Ungelenk ging Carl auf den ersten Strauch zu. Er roch an einer geöffneten Blüte. Ja! Das war der Duft, ihr Flair, Kathryns Duft, der Duft ihrer Liebe. Zum Niederknien.
    »O mein Gott!«, flüsterte Carl.
    Er legte seine Arme sanft um den Rhododendron. Ja, ja, ja. Sie lebte. Sie hatte überlebt. Er prüfte die drei anderen Darjeeling-Rhododendren. Ungläubig, überwältigt. Behutsam knipste Carl eine Blüte heraus und hielt sie gegen die Sonne. Wächsern durchscheinend, schöner als erträumt!
    Gustav setzte sich auf einen Gartenstuhl und klopfte sich vor Freude auf sein Holzbein.
    Carl wandte sich zu ihm. »Du alter Verbrecher! Woher hast du sie?«
    Gustav erzählte es ihm. »Sechs sind mir eingegangen. Ich wusste ja nicht genau, wo und wie man sie am besten pflanzt. Und im letzten Winter war es ja auch gemein kalt hier.«
    Dass ihm nur fünf eingegangen waren, dass er noch eine Rose von Darjeeling versteckt auf dem Grundstück seines Bauernhauses am Zwischenahner Meer gepflanzt hatte und dass diese sich sogar von allen am besten entwickelte, das verschwieg er. Es war immer gut, noch ein Ass im Ärmel zu haben.
    »Ich hab gedacht, wenn du mir den Persilschein nicht ausstellst, dann erpresse ich dich mit diesen Rhodos.«
    Carl schaute ihn ernst an. »Hättest du?«
    Gustav antwortete ehrlich. »Ich weiß es nicht …«
    Carl grinste. »Aber sicher hättest du!« Er boxte Gustav gegen die Schulter. »Komm, lass uns den ganzen Mist hinter uns lassen. Das ist alles ewig her.«
    Gustav verstand. »Das war ja auch ihre letzte Bitte an uns.«
    Carl nickte. Bitte bleibt Freunde, hatte sie beim Abschied gesagt.
    »Hat ja nur siebzehn Jahre gedauert.«
    Sie umarmten sich.
    Die Flächennutzungsauflagen der Alliierten wurden 1947 aufgehoben. Familie Jonas konnte mit dem Wiederaufbau der Rhododendronkulturen anfangen. Viele Büsche machten sich im Kiefernwald wunderbar und blieben dort. Carl erholte sich nicht nur körperlich, auch seine Zuversicht kehrte zurück. Liebevoll kümmerte er sich um seine Kinder. Kathrin kam in die Pubertät, Gerdchen mit seinen zehn Jahren demonstrierte schon mit Hingabe seinen grünen Daumen, und Hansi brachte die Familie mit seinen altklugen Fragen und Aussprüchen zum Lachen.
    Drei der Rose-von-Darjeeling-Rhododendren hatte Carl aus Gustavs Garten in die Baumschule geholt und inzwischen auch vermehrt, dafür durfte sein Freund sich Ersatz aussuchen. Ein Exemplar behielt Gustav.
    Gartengestaltung stand für die Bevölkerung in den ersten Jahren nach dem Krieg natürlich nicht an erster Stelle, sie musste ihr Geld in lebenswichtigere Güter investieren.
    »Wartet es nur ab«, prophezeite Carl, »wenn die Häuser und Städte und Parks wieder aufgebaut werden, dann läuft bald auch unser Geschäft.«
    Tatsächlich wiesen bald schon alle Anzeichen auf Erfolg – die Nachfrage von Privatkunden und Großhandel, von Kommunen und Baugenossenschaften zog an. Carls Rhododendren erhielten auf Ausstellungen wieder Auszeichnungen.
    Nachdem Gustav im Entnazifizierungsverfahren nur als »Mitläufer« eingestuft worden war, plante er, sich endgültig von Ivy zu trennen. Doch sie erkrankte schwer. Wie sich erst im Laufe von Monaten herausstellte, litt sie an Muskelschwund. Für Gustav war es eine Frage des Anstands, Ivy in dieser Situation nicht allein zu lassen. So gifteten sie sich weiter gegenseitig an. Sie zogen wieder in das Stammhaus nach Leer und verkauften die Villa in Bremen. Obwohl er nicht gläubig war, dachte Gustav manchmal, Ivys Gezeter sei die Strafe Gottes für die Verblendung während seiner Nazijahre. Aber das hinderte ihn nicht daran, wieder nach seiner alten Devise zu verfahren: vorbei ist vorbei.
    Gustav kehrte zurück zum Teegeschäft seiner Vorfahren. Die Schwarzmarktgeschäfte gab er auch nach der Währungsreform noch nicht völlig auf. Zwar waren endlich wieder freie Teeeinfuhren erlaubt, doch noch einige Jahre lang verhinderten extrem hohe Teesteuern einen Aufschwung seiner Branche. Er musste also auf andere Art Geld verdienen. Irgendwie, dachte Gustav, sind wir doch alle Verbrecher.

Ammerland
    April 1951
    »Carl«, fragte Gesine eines Tages verwundert, »wieso reibst du dir eigentlich neuerdings immer die Hände nach dem Waschen mit Melkfett ein?«
    »Och, hab ich doch immer schon ab und zu gemacht«, antwortete Carl. Er fühlte sich

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