Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
Vom Netzwerk:
Krieg und die Gefangenschaft in den Knochen stecken, macht es ihn fertig, dass so viele seiner Züchtungen verloren sind. Er trauert ja direkt um diese Rose von Darjeeling …« Hilflos hob sie die Schultern. »Da kann man nichts machen.«
    In Gustavs braunen Augen blitzte es auf. »Das würd ich so nicht sagen. Warte mal ab, Gesine!«
    Carl lächelte nicht, als er Gustav erblickte. Seine Augen waren die eines Mannes, der alles gesehen hatte. Gustav konnte kaum verbergen, wie schockiert er war.
    »Wir müssen uns nichts vormachen«, sagte Carl nur. »Setz dich.«
    Als Gesine den Tee brachte, schwiegen die beiden sich an. Sie verließ schnell wieder den Raum.
    Carl klagte sich und Gustav an. Auf seinem Schreibtisch lagen Zeitungen mit Fotos aus deutschen Konzentrationslagern.
    »Hast du das gewusst? Du konntest doch immer so gut mit den Parteibonzen.«
    »Die Amis haben Filme gezeigt von den wandelnden Skeletten und von Leichenbergen im KZ . Wir mussten sie ansehen. Konnte gar nicht so viel kotzen, wie ich wollte. Das hab ich wirklich nicht gewusst.«
    »Du hast dich selbst verraten«, sagte Carl nüchtern. »Deine alten Ideale. Kam dir denn nie ein Verdacht, dass du Verbrechern dienst?«
    Gustav hatte bislang solche Gespräche gemieden. Was nicht bedeutete, dass die Schuldfrage nicht in ihm arbeitete.
    »Doch«, antwortete er zögernd. »Die Erkenntnis kam schleichend … Erst denkt man: Ist schon nicht so schlimm. Dann denkt man: Eigentlich müsste ich jetzt aufstehen und protestieren, dass es so nicht geht!«
    »Wann war das bei dir?«
    »Als ich das erste Mal in Berlin auf einer Parkbank das Schild sah FÜR HUNDE UND JUDEN VERBOTEN . Aber man zögert. Wieso sagen die anderen nichts? Und man sieht, was denen passiert, die den Mund aufmachen. Und dann steckt man auch schon knietief mit drin, hat den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören, Umschwenken oder Fliehen verpasst. Man weiß, es ist Unrecht, es ist ein Verbrechen.« Er schnäuzte sich. »War das im Krieg nicht genauso? Erzähl mir nicht, du hättest keine Gemeinheiten begangen. Und du hättest nicht mitgejubelt, als wir im Blitzkrieg siegreich durch Europa marschiert sind.«
    Carls Gesicht färbte sich tiefrot.
    »Also spiel hier nicht das arme Opfer«, fuhr Gustav fort. »Ich hab jedenfalls keine Menschen umgebracht.«
    »Direkt vielleicht nicht, aber wir haben alle unser Scherflein zur Katastrophe beigetragen …« Carls Stimme klang verbittert. Doch er beschloss, sich zu verteidigen. »Im Feld unterscheidest du irgendwann nur noch nach Feind oder Freund. Sonst wirst du irre. Jeder Feind, den du ausschaltest, ist einer weniger, der die Frauen und Kinder zu Hause umbringen kann. Oder du denkst: Wenn du ihn nicht erschießt, erschießt er dich. Verdammt, so war’s doch auch!«
    Gustav sah, wie sehr das Gespräch Carl anstrengte. Doch er hinderte ihn nicht daran fortzufahren. Carl sollte sich ruhig auskotzen.
    »Das Absurde wurde mir immer dann am deutlichsten, wenn ich gegen Engländer kämpfen sollte«, sagte Carl. »Aber falls das mit dem Umbringen gerade ein Vorwurf war. Vielleicht hab ich ja genau den ausgeschaltet, der sonst dich umgebracht hätte!«
    »Du meinst, so wie mein Vater im Ersten Weltkrieg …«
    Carl erwiderte darauf nichts. Überhaupt konnte er diese verlogene alte Geschichte nicht mehr hören. Und außerdem führte Aufrechnen zu nichts.
    »Wusstest du eigentlich«, fragte er stattdessen, »dass ich um ein Haar nach Jersey abkommandiert worden wäre? Doch dann gefiel es Adolf, die Ostfront zu eröffnen und uns Russland überfallen zu lassen.« Er steckte sich eine selbst gedrehte Zigarette an. »Was hätte ich denn tun sollen? Das macht mich wirklich verrückt … Ich weiß nicht, an welchem Punkt ich was hätte anders machen können!«
    Gustav nickte.
    Er wollte, dass Carl ihn auch verstand. Eigentlich wollte er sich selbst besser verstehen. »Es gab wohl eine Phase, wenn ich da Gleichgesinnte erkannt hätte, die sich gemeinsam mit mir hätten starkmachen wollen – ich hätte vielleicht Widerstand geleistet.«
    »Wetten, diese Phase begann erst, als wir aufgehört hatten zu siegen?«
    »Stimmt. Aber es stand ja nicht nur das eigene Leben auf dem Spiel, auch das der Familie.«
    »Erst versteckt man sich hinter einer Maske«, sagte Carl schleppend, »und irgendwann wird man dann tatsächlich so. Wir sind alle feige.«
    »Vielleicht wäre manches doch anders gekommen, wenn ich eine andere Frau an meiner Seite gehabt hätte«, überlegte Gustav.

Weitere Kostenlose Bücher