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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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ertappt.
    Gesine schüttelte nur den Kopf. Seit sie ihn kannte, hatte er raue Hände, und nie hatte sich irgendein Mensch daran gestört.
    Sie nahm noch ein Stück selbst gemachten Butterkuchen mit Zuckerkruste vom Blech. Gesine war draller denn je, aber es stand ihr. Nach den Hungerjahren galten Frauen mit üppigen Kurven als sehr attraktiv. Zudem hatte Gesine, die jetzt einundvierzig war, sich auch endlich von der Dauererschöpfung der schlimmen Zeit erholt.
    Zufrieden kauend bot sie ihm ein Stück an. »Ist noch schön warm. Willst du auch?«
    »Nein, danke.« Carl verrieb die letzten Reste Melkfett und krempelte seine Ärmel wieder herunter. »Es klappt übrigens.«
    »Was klappt?«
    »Wir nehmen dieses Jahr an der Chelsea Flower Show teil. Ich erwarte nicht, dass wir eine Medaille gewinnen. Aber es wird Zeit, dass wir uns wieder international mit unseren Züchtungen präsentieren. Die Konkurrenz schläft nicht. Ich häng noch eine Woche dran und werde unsere alten Vorkriegskontakte zu Rhodospezialisten erneuern.«
    »Du fährst nach London?«
    »Ja.«
    »Allein?«
    »Ja.«
    Schade, dachte Gesine. Aber es war ja klar. Sie musste sich um die Kinder kümmern. Und einer musste ja auch die Firma beaufsichtigen. Im Mai herrschte Hochbetrieb. Sie konnten nicht immer wieder Friedrich-Wilhelm vom Altenteil holen. Der mischte außerdem wieder in der Lokalpolitik mit und hatte wenig Zeit.
    »Du brauchst doch Hilfe beim Aufbau und so …«
    »Ja, über den Veranstalter hab ich mir drei Leute zur Unterstützung bestellt. Einen jungen Gärtner, Bill heißt er mit Vornamen, wohnt in einem Vorort, und noch zwei Jungs. Das ist deutlich billiger, als wenn ich unsere Leute mitnehmen würde.«
    Das sah Gesine ein. Sie seufzte ein bisschen enttäuscht. »Wann genau ist das?«
    »Die Blumenschau wird am 22. Mai eröffnet.«
    »Oh, dann bist du ja an deinem Geburtstag gar nicht hier …«
    »Erinner mich nicht daran. Sechsundvierzig ist wirklich kein Alter, das man besonders feiern müsste.«
    »Unsinn«, widersprach Gesine. Carl sah hervorragend aus. Seit er wieder Dressur ritt, hatte sich seine Haltung gestrafft. Die grauen Schläfen gaben ihm etwas Vornehmes, fand seine Frau insgeheim, und seine Augen leuchteten immer noch knieerweichend himmelblau. Sie schmollte ein wenig. »Ich hab aber doch schon eine Überraschung für dich …«
    »Dann heb sie auf, bis ich zurückkomme. Oder pack sie mir in den Koffer.«
    »Aber wirklich erst an deinem Geburtstag aufmachen.«
    »Versprochen.«
    Kurz vor Carls Abreisetermin wurde bekannt, dass in London eine Variante der Spanischen Grippe kursierte, die nach dem Ersten Weltkrieg Millionen Todesopfer gefordert hatte.
    »Carl, überleg’s dir noch mal«, bat Gesine.
    Er lachte nur. »Wer Typhus, Ruhr und eine doppelseitige Lungenentzündung überstanden hat, den kann so ’ne Grippe auch nicht umhauen.«

Ammerland
    Mai 2010
    Dicke graue Wolken zogen über den Westersteder Kirchturm hinweg, aber wenigstens regnete es nicht. Mindestens hundert Leute werkten auf dem abgesperrten Marktplatz: Gartenbaufachleute, Landschaftsarchitekten, Männer vom Bauhof … Große Mengen von Torfmull wurden aufgeschüttet, Beete angelegt, im Ortskern hallte es wider vom Zimmern hölzerner Treppen und Brücken, Gabelstapler brachten die ersten weniger empfindlichen Pflanzen. Grüne Formgehölze, Linden und Kiefern sollten neben diversen Stauden den Rahmen für die farbenprächtigen Rhododendren bieten.
    Julia unterbrach die Arbeiten an ihrer Ausstellungsparzelle immer wieder, um Kollegen zu begrüßen – von den zweihundert Ausstellern kamen knapp neunzig aus dem oldenburgisch-ostfriesischen Raum. Julia war froh, dass sie mit den Vorbereitungen so viel zu tun hatte. Da blieb wenig Zeit, über Max nachzudenken. Er hatte sich seit der Nacht des 1. Mai weder telefonisch gemeldet noch war er morgens zum Joggen gekommen. Warum entschuldigte er sich nicht einfach?
    Wie hatte er nur so taktlos sein können? Vielleicht hatte er etwas überhört … Anders war sein Versuch, auf Kosten der Rhodozüchter witzig zu sein, während sie überwältigt von Erinnerungen an ihren Vater todtraurig neben ihm saß, kaum zu erklären. Natürlich hatten sie beide auch Bowle und Wein getrunken … In der Dunkelheit war ihm wahrscheinlich entgangen, dass sie plötzlich hatte weinen müssen.
    Julia schaute über den Platz auf die eifrigen Rhodoexperten aus aller Herren Länder – und musste plötzlich hell auflachen. Wenn sie ehrlich war,

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