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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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Augen an. Gesine sprang auf. »Carl lebt!«, rief sie so laut sie konnte. »Carl lebt! Er kommt heute!«
    Sie sah an sich herunter, fuhr mit den Händen durch ihr Haar. O Gott, nur noch wenige Stunden, um sich zurechtzumachen. Und er wollte sicher etwas Ordentliches essen. Wo steckten die anderen alle?
    »Kinder!«
    Die Vorfreude auf die Heimkehr war viel größer gewesen als das Gefühl, das Carl beim Wiedersehen mit seiner Familie tatsächlich empfand. Zum ersten Mal sah er seinen Vater weinen. Gesine, die Kinder, selbst Westerstede – alles war ihm fremd. Unsicher, fast gefühllos, wanderte er in seinem schäbigen Armeemantel mit den anderen durch seinen Heimatort nach Hause. Das hatte er sich oft so ausgemalt, wie er vom Bahnhof nach Hause gehen würde. In den Vorgärten spross Gemüse, da blühten keine Blumen, kaum Frühlingssträucher.
    Nach dem Essen, dem Tee, den ersten Gesprächen, dem ersten Bad und dem ersten Schlaf hatte Carl nur einen Wunsch – er wollte seine Rhododendren sehen. Früh morgens suchte er die Stelle, wohin er die Rose von Darjeeling gepflanzt hatte. Schon auf dem Weg dorthin traute er seinen Augen nicht. Er irrte durch einen riesigen Gemüsegarten, vorbei an zart keimendem Grün, an Reihen mit jungen Möhren, Kohlrabi, Weißkohl, Bohnen … Vor dem länglichen Gewächshaus lag ein großer Kartoffelacker. Kein Rhododendron, nicht einer!
    Carl klingelte seinen Vater aus dem Bett.
    »Wir mussten …«, Friedrich-Wilhelm erklärte seinem Sohn die Anordnung der Alliierten. »Aber vielleicht wirst du im Wäldchen fündig.«
    Carl durchkämmte den Kiefernwald, wieder und wieder, in der Hoffnung, sie irgendwo doch zu entdecken. Immerhin, einige seiner Züchtungen hatten dort überlebt, auch ihre Brot-und-Butter-Rhododendren, aber nicht eine einzige Rose von Darjeeling. Nicht eine!
    In den folgenden Tagen funktionierte Carl wie ein Automat. Er sprach kaum. Gesine und die Familie gaben sich alle erdenkliche Mühe, ihn zu schonen, aufzumuntern und zu stärken. Seine Mutter besorgte unter schwierigsten Umständen Zutaten für seine Lieblingsspeisen. Kathrin bemühte sich um seine Anerkennung, indem sie davon erzählte, wie erfolgreich sie in der Schule war. Gerd entwickelte eine Nacktschneckenfalle. Der kleine Hans zeigte ihm sein Bilderbuch von Max und Moritz. Mit dem Finger wies er auf die Darstellung der beiden in Teig eingebackenen Spitzbuben, an denen das Federvieh knabberte.
    »Das ist lustig, nicht?«, rief Hansi lachend. Aber sein Vater verzog keine Miene.
    Gesine umarmte ihn oft. Carl ließ es sich allenfalls gefallen, doch nach drei Wochen ertrug er diese Art der Kümmerei nicht mehr. Er machte Gesine Vorwürfe. »Wieso hast du dich nicht um meine Darjeeling-Züchtungen gekümmert? Warum hast du sie nicht bewahrt? Ich begreife es nicht!«
    Da platzte auch ihr der Kragen. Sie schrie zurück: »Was bildest du dir ein? Wir hatten hier andere Sorgen. Hast du eine Ahnung, was wir in den letzten Jahren durchgemacht haben?« Gesine stemmte ihre Arme in die Hüften und zählte auf, wonach er sie nie fragte. »Englische Tiefflieger haben deinen Sohn Gerd die Lange Straße herunter verfolgt, das Kind war völlig verstört. Anderthalb Jahre lang feuerten die Flakgeschütze auf dem Wasserturm Tag und Nacht aus vollen Rohren mit einem Höllenlärm. Alle Flugzeuge, die Wilhelmshaven oder Bremen oder Hamburg oder Berlin angreifen wollten, sind in großen Pulks genau hier rübergeflogen. Da wirst du wahnsinnig! Die Ausgebombten kamen zu uns, die wollten Platz und was zu essen. Dann im März 45 die ersten Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen! Wir hatten auf einmal ein Drittel mehr Einwohner … Jeder hatte etwas Schreckliches erlebt, viele tickten nicht mehr richtig. Und dazu drei kleine Kinder und immer die Angst um dich …« Sie brach schluchzend ab.
    Carl drehte sich um. Er ging nach draußen.
    Später, vor dem Einschlafen, entschuldigte er sich bei seiner Frau. Aber Gesine spürte, dass er ihr den Verlust ewig nachtragen würde. Sie verstand ihn nicht. Schließlich ging es doch nur um ein paar Sträucher.
    »Schön, dass du da bist. Aber nicht erschrecken«, warnte Gesine Gustav. »Carl hat sich verändert. Holundertee oder Muckefuck?«
    »Ordentlichen Tee natürlich.« Gustav grinste und reichte ihr eine knisternde Spitztüte.
    »Danke.«
    »Er sitzt in seinem Büro. Aber er arbeitet kaum. Er starrt Löcher in die Wand. Seit Wochen.« Sie seufzte schwer. »Abgesehen davon, dass ihm natürlich der

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