Die Rose von Darjeeling - Roman
die jungen Leute im Herrenhaus wilde Partys feierten. Man kann sich für das Glücklichsein entscheiden, vermittelte sie ihnen. Manchmal setzte sie in Gedanken hinzu: meistens jedenfalls …
Zu den regelmäßigen Gästen zählten bald auch Mrs Marya und Dr. Apple. An diesem Paar, das so hinreißend alterte wie eine humorvolle russische Großfürstin und ein expressionistischer Künstler, hing Kathryn mit zärtlicher Liebe. Verkörperten die beiden aus der Generation ihrer Eltern doch auch ein Stück Darjeeling.
Marya Apple war es, die Aashmis Talent einem größeren, elitären Publikum zugänglich machte. Sie zeigte sich dermaßen begeistert von den Bordüren, Stickereien, Applikationen, die Kathryns Garderobe zierten, dass sie umgehend die Künstlerin kennenzulernen wünschte, die sie entworfen hatte.
Aashmi, die ihr dunkles Haar inzwischen kurz und in Dauerwellen gelegt trug, war tief bewegt. Sie erinnerte sich noch gut, wie sie als kleines unbedeutendes Mädchen die eleganten Apples bewundert hatte, wenn sie über die Chowrasta-Promenade kutschierten. Mrs Apple bat sie um die Erlaubnis, einige ihrer Zeichnungen und Ausführungen einem Pariser Couturier zeigen zu dürfen. Natürlich hatte Aashmi nichts dagegen. Eine Woche später erreichte sie das Telegramm eines weltberühmten Modeschöpfers: Wann können Sie nach Paris kommen?
Die Nepalesin Aashmi, der ursprünglich niemand mehr als ein bescheidenes Leben als Teepflückerin vorhergesagt hätte, reiste in die Hauptstadt der Mode, und eine beispiellose Karriere begann. Französisch hatte sie schon in ihren Jahren auf Jersey gelernt, eigentlich den Dialekt Patois, das erleichterte ihr den Einstieg. Sie war nun Ende dreißig. Ihre Tochter hatte jung einen Koch geheiratet, mit dem sie ein Restaurant aufmachen wollte. Ihr Sohn Mohandas besuchte in London eine renommierte Butler-Schule. Ihr Mann Mr Singh war ein guter Kamerad geworden, aber sie brauchten nicht mehr jeden Tag zusammen zu sein. Sie hatten sich wieder viel mehr zu erzählen, seit Aashmi zwischen Paris und Jersey hin- und herpendelte.
Anfangs arbeitete sie für den Modeschöpfer, doch nach einigen Jahren machte sie sich selbstständig. Besonders erfolgreich verkaufte sich eine Linie mit Schals, Abendstolen und Tüchern. Unter ihrem Vornamen »Aashmi« konnten sich bald Millionen Frauen in aller Welt etwas vorstellen.
Kathryn erfuhr irgendwann beiläufig, dass sich ihr ergebener Verehrer Louis Laurent dem eigenen Geschlecht zugeneigt fühlte. Das versetzte ihr einen leichten Stich der Enttäuschung, doch letztlich blieb ihr Verhältnis davon ungetrübt.
Kathryn durchlitt weiter depressive Schübe, die aber immer wieder vorübergingen und auch mal längere Zeit ausblieben – vor allem, wenn ihr Rhododendron blühte. Wie unglaublich glücklich fühlte sie sich, wenn die ersten Knospen aufgingen und sie den ersten Hauch des zarten Dufts erschnuppern konnte! Für sie war es jedes Mal wieder eine Botschaft von Carl: Ja, ich denk an dich. Unsere Liebe lebt, Kathryn. Mag auch die Zeit vergehen, ich liebe dich bis in alle Ewigkeit.
Aus der Tiefe ihres Herzens stiegen Liebe und Dankbarkeit empor. Nichts, abgesehen von einem alljährlichen Pflichttermin in London, konnte sie zur Blütezeit aus ihrem Garten locken. Alle Menschen, die ihr nahestanden, staunten immer, wie gut Kathryn diese Jahreszeit tat. Doch nicht nur im Mai und Juni bescherte ihr der Rhododendron Freude. Die im Spätsommer angesetzten grünen Spitzen schenkten ihr an trüben Wintertagen die tröstende Gewissheit, dass die Natur das Schöne ja schon wieder vorbereitete.
Ende der Sechzigerjahre heiratete Charles standesgemäß, Alexandra, eine fünfzehn Jahre jüngere, freundliche brünette Baroness, die Kunstgeschichte studiert hatte. Diese Ehe blieb lange kinderlos, was Kathryn und Alfred sehr bekümmerte. Begeistert waren sie hingegen, als Leroy Apple, Maryas jüngster Sohn, um die Hand ihrer Tochter Annabella anhielt. Er hatte auch Jura studiert und promoviert wie sein ältester Bruder Victor, der mittlerweile Dekan in Oxford war, lebte aber als gefragter Fachautor in London. Leroy und Annabella gründeten einen Verlag für Fachzeitschriften.
Lord Taintsworth hatte ein hohes Alter erreicht. Er war im Schlaf an Altersschwäche, beinahe neunzigjährig Mitte der Sechzigerjahre gestorben. Nach Alfreds Tod wurde Louis Laurent, der normannische Apotheker, Kathryns bester Freund und engster Vertrauter.
Im Winter 1973 wurde bei Carl ein
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