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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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machte. Lady Kathryn liebte diesen Nebeneffekt, wenn sie mit dem Minor durch die Landschaft fuhr oder in ein Dorf kam, lächelten die Leute unwillkürlich.
    »Singh, bitte fahren Sie den Minor Morris vor. Ich setze mich heute selbst hinters Steuer.«
    »Sehr wohl, Mylady.«
    Singh war Butler und gleichzeitig auch der Chauffeur. Seine Miene verriet nicht, was er gerade dachte. Seine Haltung war britisch durch und durch. Die dunkle Haut, die lackschwarzen Haare mit ersten grauen Strähnen an den Schläfen, die für einen Mann zarte Gestalt und das feingeschnittene Gesicht verrieten seine indische Herkunft. Mohandas Singh war in Jersey geboren und aufgewachsen. Seine Eltern waren 1930 mit Kathryn, der jungen Braut, von Darjeeling nach Greenville Manor gekommen.
    »Und würden Sie dann bitte mit Marie zusammen die Sitzgruppe neben dem Rhododendron erweitern? Einige Gäste werden nach dem Brunch auf der Terrasse am Sonntag sicher noch zum Tee bleiben.«
    Kathryn hatte sich zwar ausdrücklich gewünscht, dass ihre Geburtstagsfeier in kleinem Rahmen stattfinden sollte, ohne Auftrieb und Presse, ohne redenschwingende Würdenträger, doch mit fünfzig bis sechzig Gästen am späten Vormittag rechnete sie trotzdem.
    »Was, wenn es hundert werden, Mylady?«, fragte Marie in diesem Moment besorgt. Sie stand mit ihrer gestärkten weißen Schürze in der Tür des Salons und polierte eine Kristallkaraffe. Die dralle Fünfzigjährige stammte aus dem nächsten Dorf, eine einfache Frau mit einem groben, aber ehrlichen Gesicht. Marie hatte sich durch unermüdlichen Einsatz und Zuverlässigkeit vom Hausmädchen zur leitenden Haushälterin und Köchin hochgearbeitet. »Soll ich nicht doch lieber mehr vorbereiten?«
    »Das tun Sie doch sowieso, egal, was ich sage.« Kathryn lächelte. »Miles und ich unternehmen jetzt eine kleine Gourmettour über die Insel und werden mal schauen, was wir zusätzlich an Köstlichkeiten ordern können, um Ihnen die Arbeit zu erleichtern.«
    Marie sah nicht wirklich erleichtert aus. Schließlich kannte sie die impulsiven Entscheidungen ihrer Arbeitgeberin.
    »Aber bitte, Mylady, würden Sie mir anschließend wohl mitteilen, was Sie bestellt haben, damit die Speisen für das Buffet auch zusammenpassen?«
    Lady Kathryn überhörte den leicht verzweifelten Unterton. »Sicher, Marie, und ich bestelle reichlich. Was übrig bleibt, können Sie dann einfrieren.«
    Maries Leib vibrierte von einem unterdrückten Seufzer. Der Gefrierschrank war schon so voll, dass man die Schubkästen kaum noch aufziehen konnte.
    »Sehr wohl, Mylady«, sagte sie dennoch.
    »Wir kehren erst gegen Nachmittag zurück. Es kann sein, dass die Nachbarmädchen mit ihren Freundinnen zum Krocketspielen vorbeikommen. Das ist in Ordnung, ich hab’s ihnen angeboten.« Die alte Dame lächelte fein. »Bereiten Sie ihnen bitte etwas aus dem übervollen Eisschrank zu essen.«
    Marie nickte grimmig. Sie sagte gern von sich selbst, sie sei wie die Kanalinsel Jersey – ein Mix aus England und Frankreich. Und wirklich vereinte die Haushälterin Tugenden beider Nationalitäten: französische Kochkunst mit britischem Planungsgeschick. So liefen seit Tagen die Vorbereitungen für das Fest auf Hochtouren. Von Myladys Sohn Charles wusste sie, dass doch mindestens hundert, wenn nicht mehr Gäste zum runden Geburtstag ihre Aufwartung machen wollten. Marie hatte ein buntes Buffet im Sinn und bereitete auch ihre Kuchen generalstabsmäßig vor. Heute machte sie das Früchtebrot, morgen war der Pastetenteig an der Reihe, übermorgen die Obstfüllungen, und einen Tag vorher sowie am Sonntagmorgen würde sie alles in den Ofen schieben. Natürlich auch die Jersey Wonders, nach denen die Kinder so verrückt waren: raffiniert verschlungenes Schmalzgebäck, das unbedingt bei Ebbe in einer Pfanne ausgebacken werden musste. Bei Flut, besagte eine alte Jersey-Regel, liefe das Fett über. Aber von diesen Dingen wollte Ihre Ladyschaft nie etwas hören. Sie machen das schon, Marie, pflegte sie zu sagen.
    Der elfenbeinfarbene Minor Morris stand bereit. Kathryn setzte ihren kleinen Strohhut auf, während Miles schon erwartungsvoll auf dem Beifahrersitz saß und das Fenster herunterkurbelte. Sie lächelte die Haushälterin zum Abschied freundlich an.
    »Sie machen das schon, Marie!«
    Tatsächlich prägte sich dieser Nachmittag Miles als einer der goldenen Tage seiner Kindheit ein. An das, was dann abends geschah, erinnerte er sich später, als sei es ein anderer Tag

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