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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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anfangen, deinen Gaumen zu schulen, Miles. Genuss ist keine Sünde, sondern eine Verpflichtung gegenüber deinem Schöpfer. Du musst lernen, die Dinge zu würdigen.«
    Als Erstes gab es Languste. Sie hatte glattes, festes weißes Fleisch. »Deliziös«, schwärmte der Restaurantmanager.
    Kathryn nickte. »Hmm!«
    Das stimmte fürwahr. Dann kam der Hummer. Das rötliche Fleisch hatte eine ganz andere Struktur, es war fasriger, weicher, trotzdem kernig, saftig, und im Geschmack noch intensiver.
    »Super«, rief Miles aus. Dann schien ihm dieser Ausdruck nicht ganz angemessen, und er sagte würdevoll: »Ich meine, auch sehr deliziös.«
    Kathryn unterdrückte ein Lächeln.
    »Und jetzt das Allerbeste!«, kündigte der Manager theatralisch an. »Jacobsmuscheln! Erst vor einer Viertelstunde an Land gebracht! Dort hinten sehen Sie noch den Fischer, der sie geliefert hat.«
    Der Koch brachte die fangfrischen Jacobsmuscheln – warm, angerichtet auf Sommersalaten mit grünen Spargelspitzen, gerösteten Pinienkernen und leichtem Zitrusdressing.
    »Himmlisch!«, seufzte Lady Kathryn wohlig, »wirklich ein Erlebnis!« Ganz langsam kaute sie das süßliche glatte Muschelfleisch, um den Genuss voll auszukosten. »Was meinst du, Miles? Was brauchen wir noch fürs Buffet?«
    Er stand auf, beugte sich vertraulich über den Tisch und flüsterte in ihr Ohr: »Grandma, ganz im Ernst, findest du wirklich, dass ein elfjähriges Kind so etwas entscheiden sollte?«
    Sie lachte vergnügt. »Die Entscheidung treffe ich. Aber du hast doch sicher einen eigenen Geschmack. Also?«
    »Ich mag alles, aber am besten finde ich die Jacobsmuscheln.«
    »Sehr gute Wahl!«, entfuhr es dem Restaurantmanager.
    Lady Kathryn orderte für ihr Geburtstagsessen fünfzig Portionen direkt nach Greenville Manor. Der Restaurantmanager küsste ihr die Hand. Er geleitete sie nach draußen und winkte ihnen lange nach.
    »Ist der Manager auch in Not?«, fragte Miles auf der Heimfahrt.
    Es war nun doch später geworden als geplant, die Sonne färbte sich bereits rötlich.
    »Nein, mein Schatz«, erwiderte seine Großmutter. »Er bietet einfach die beste Qualität. Das ist auch viel wert.«
    »Aber du hilfst doch oft anderen Leuten, nicht wahr? Warum tust du das?«
    Kathryn zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich tat sie es, um eine alte Schuld abzutragen. Aber das konnte sie dem Kind nicht sagen, und so antwortete sie nur: »Warum? Ach, es freut mich einfach, wenn andere sich freuen.«
    »Wieso?«
    »Na, ist doch schön! Wenn du helfen kannst, dann hilf, Miles. Es klingt simpel und ist auch ganz einfach. Du musst nicht viel drüber nachdenken. Tu’s einfach.«
    »In Ordnung, Granny.« Er dachte eine Weile nach, dann fragte er: »Und warum soll ich lernen zu genießen?«
    »Weil ein Mensch, der nicht genießen kann, irgendwann ungenießbar wird.« So wie Alfred in seinen letzten Jahren, dachte sie, aber auch das konnte sie Miles nicht sagen.
    »Komm, wir schauen noch mal nach den Pferden«, schlug Kathryn vor, als sie neben dem Herrenhaus parkte.
    Miles sprang voran wie ein junges Fohlen. Vom Teich hinter der Sonnenterrasse wand sich ein Pfad am Küchengarten vorbei unter hohen Bäumen zur Koppel – erst hinunter und dann wieder einen sanften Hügel empor. Der Bach plätschte, Amselmännchen flöteten. Es roch nach Laub, frischem Rasenschnitt, Wasser, Rosen, Pferdeäpfeln und sogar noch eine Spur nach Holunder. Zutraulich trabten die Tiere ans Gatter. Miles streckte ihnen seine flache Hand entgegen.
    »Mylady, Mylady!« Marie kam über die Terrasse zu ihnen gelaufen. »Haben Sie’s schon gesehen?« Die Haushälterin strahlte.
    »Ja, was ist denn?«
    »Ihr Rhodo blüht.«
    »Unsinn, er blüht im Mai!«
    »Doch, Mylady, ein Wunder! Er hat ganz viele neue Knospen …« Außer Atem blieb Marie vor ihnen stehen, ungläubig sah Kathryn sie an.
    Miles lief schnell hinüber. Von dort brüllte er: »Es stimmt, Grandma! Der Rhodo blüht wieder!«
    Ihr Herz stach, der Brustkorb wurde eng. Kathryn hielt kurz inne, schritt dann eilig weiter zu ihrer Rose von Darjeeling – und sie erschrak bis ins Mark. Ihr Mund wurde trocken. Minutenlang konnte sie nichts sagen. Es stimmte! Spärlicher als im Mai, aber unübersehbar, öffneten sich die scharlachfarbenen Blüten. O Gott, dachte sie, es ist so weit!
    »Aber was ist denn?«, rief Miles erschrocken. Er sah, wie seine Großmutter bleich wurde und sich krümmte.
    Das ist die Angstblüte!, dachte Kathryn. Sie fühlte sich, als hätte

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