Die Rose von Darjeeling - Roman
Miles wenig später das Zimmer betrat, atmete sie schwer. Beklommen näherte er sich seiner Großmutter. Sie lag so unnatürlich da auf ihrem Bett, das machte ihm Angst.
»Grandma, hörst du mich?«
Besorgt streichelte Miles ihre Wange. Kathryn zuckte leicht zusammen, ihre Augenlider flatterten, und ihre Gesichtszüge entspannten sich. Sie schien etwas zu hören. Sogar richtig glücklich sah sie aus.
Miles griff nach ihrer Hand. Sie fühlte sich eisig an. Er nahm auch die andere Hand und tat, was seine Großmutter gemacht hatte, wenn seine Hände beim Schlittenfahren zu kalt geworden waren: Er legte sie zusammen und pustete heiß in die Öffnung hinein.
Ein schwaches, freudiges Ja kam über die Lippen der alten Frau. Sie lächelte selig. Auf ihren Wangen zeigten sich feine Grübchen. Miles fragte sich, woran sie wohl dachte. Dann sah er, wie sich der Brustkorb seiner Großmutter hob. Sie atmete ein und mit einem langen, erleichterten Seufzer wieder aus.
Es war ihr letzter Atemzug.
Wenige Wochen nach der Beerdigung von Lady Taintsworth ging tatsächlich ihr heißgeliebter Rhododendron ein. Ihr Sohn Charles war kein Romantiker, doch er hoffte wider alle Vernunft inständig, dass der große Busch im nächsten Frühjahr erneut austrieb. Als es so weit war, und weder Grün noch Blüten das nackte Strauchwerk schmückten, beschloss der Lord, zur Erinnerung an seine Mutter diese viel bewunderte Sorte wiederzubeschaffen. Es gab einige Verwirrung wegen ihres Namens. Während Charles meinte, sie habe Queen of Darjeeling geheißen, vermuteten deutsche Pflanzenkundler, es könne sich um die Rose von Darjeeling handeln. Letztere war nur kurz um 1950 dokumentiert, aber auf rätselhafte Weise wie ausgestorben. Ob es sich nun also um zwei unterschiedliche oder die gleiche Sorte handelte, wusste niemand mit Sicherheit zu sagen.
Charles schickte Fotos an die Rhododendronexperten des Landes, doch keiner konnte diese Sorte liefern. Er richtete Anfragen an Gärtnereien, dann an Arboreten und Botanische Gärten. Korrespondenzen mit beigelegten Fotos wurden ins Ausland versandt. Charles erfuhr, dass auf dem europäischen Festland die vermutlich wenigen letzten Exemplare der Züchtung mit Sicherheit im eisigen Winter 1978/79 erfroren sein mussten.
Für Rhododendronfreunde, das wusste Charles, war die Welt klein. Sie kannten sich über ihre Fachgesellschaften. Nicht wenige Liebhaber trafen sich zu internationalen Kongressen. Und so begann auch unter den Mitgliedern der Deutschen Rhododendron-Gesellschaft bald ein Fachsimpeln und Wettstreiten – besonders im Nordwesten des Landes, und dort hauptsächlich im Ammerland, dem Zentrum der deutschen Rhododendronzucht. Lord Charles pflegte Kontakt zu einem Vorstandsmitglied, Ludwig Brunken. Jener wiederum machte die Recherche zur Chefsache und bat während einer Tagung die Meister auf diesem Gebiet um ihre Meinungen. Dass der Rhododendron jonasii in die Ahnenreihe gehörte, war unbestritten. Aber was noch?
»Sie hat geduftet«, überlegte der eine, »also muss der Rhododendron fortunei darin stecken.«
Darauf erwiderte der Nächste: »Es kann auch der Rhododendron discolor sein.«
Noch einer meinte: »Ich vermute einen Einschlag von Rhododendron ›Metternianum‹. «
»Nee, der kam doch erst 1937 aus Japan.«
»Ja, und?«
»Meinst du vielleicht den Rhododendron metternichii?«
»Nein, den meine ich nicht. Die beiden werden immer verwechselt. Das geht übrigens auf einen Beschriftungsfehler zurück.«
»Na, jedenfalls bin ich überzeugt, dass wir es mit einer besonders harten und attraktiven Form des Rhododendron degronianum zu tun haben.«
»Wegen der roten Farbe dürfte der Rhododendron ›Britannia‹ mit im Spiel gewesen sein …
»Oder ein Elternteil war die Königin › Wilhelmina‹ ..«
Charles schwirrte der Kopf. Ludwig Brunken schrieb dem Sohn von Lady Kathryn schließlich: Es besteht wenig Aussicht, noch jemals ein Exemplar dieser Hybride zu entdecken. Die einzige Möglichkeit wäre eine Nachzüchtung. Aber auch bei diesem Versuch hätten wir mit zwei großen Problemen zu kämpfen. Erstens: Wir kennen nicht exakt die Eltern. Und selbst wenn wir sie kennen würden – entscheidend ist doch, welche Selektion aus der Schar der Nachkommen der ursprüngliche Züchter gewählt hat. Es bliebe also immer nur bei einer Annäherung. Und zweitens: Eine neue Züchtung kann durchaus bis zu zwanzig Jahren benötigen. Wollen Sie wirklich, dass ein solcher Aufwand betrieben
Weitere Kostenlose Bücher