Die Rose von Darjeeling - Roman
wird?
Lord Charles wollte. Er fühlte sich geradezu verpflichtet.
»Maximilian«, sagte er würdevoll zu seinem Sohn. »Sollte ich dann nicht mehr unter den Lebenden weilen, bitte ich dich, im Angedenken an deine Großmutter dieses Projekt bis zu seiner Vollendung zu verfolgen.«
Der Junge nickte mit großen, ernsten Augen.
Ein Jahr nach Kathryns Tod lobte also ihr Sohn Charles ein stattliches Preisgeld von fünfundzwanzigtausend britischen Pfund für die beste Nachzüchtung aus. Knapp zwanzig Jahre später sollten die Züchtungsergebnisse im Rahmen der größten Rhododendronschau auf dem europäischen Festland, im Ammerland, präsentiert und prämiert werden.
Ammerland
April 2010
»Nur noch vier Wochen bis zur Rhodo«, Gerda massierte die Füße der fast achtzigjährigen Hella ter Fehn mit einer zitronig riechenden Creme und freute sich schon auf den gemütlichen Teil ihres Termins. »Gehst du hin?«
Hella, die mit ihrem praktischen grauen Bob nicht nur aussah wie eine pensionierte Lehrerin, sondern tatsächlich ihr Erwachsenenleben damit verbracht hatte, Kinder für Geschichte und Deutsch zu begeistern, hob unentschlossen die Schultern.
»Mal sehen«, sagte sie mit immer noch fester Stimme, »mit dem Rollator ist es schwierig. Und die Botanik interessiert mich nicht so.«
Stimmt, dachte Gerda, das sieht man an deinem Garten. Das alte Ammerländer Bauernhaus, in dem Hella seit ihrer Pensionierung lebte, wucherte allmählich zu. Das verwilderte Grundstück reichte bis zum Seeuferweg. Nur der Bauerngarten direkt an dem kleinen Fachwerkhaus war einigermaßen gepflegt. Gerda streifte ihrer Kundin die Hausschuhe über, krempelte ihr die Hose herunter und ging sich die Hände waschen.
»Aber dieses Jahr wird’s spannend«, rief sie aus der altmodischen Sommerküche in den Wohnraum. »Die Nachzüchtungen der Rose von Darjeeling sollen präsentiert werden. Es geht um dreißigtausend Euro.«
Hella zuckte zusammen. »Rose von Darjeeling?« Diesen Namen hatte sie zuletzt von ihrem sterbenden Vater gehört.
Gerda zupfte vor dem Spiegel ihre freche rotblonde Kurzhaarfrisur zurecht. Für ihre fünfzig Jahre sah sie immer noch flott aus, sie konnte sich auch über einen Mangel an Verehrern nicht beklagen, obwohl sie liebend gern nur noch für einen einzigen da gewesen wäre. Doch der traute sich nicht richtig.
Sie kehrte zurück und rutschte in die Eckbank an den schon gedeckten Kaffeetisch. Das gehörte nämlich zu ihrem Ritual: Sie berechnete nichts extra für den Hausbesuch, dafür revanchierte sich Hella ter Fehn nach der Pediküre mit Kaffee und holländischem Honigkuchen. Gerda schraubte die Thermoskanne auf.
»Ich darf doch?« Sie schenkte zwei Tassen ein und fuhr fort zu erzählen. »Ja, dieser verrückte Lord aus England oder von so einer Insel da in der Gegend, der hat doch vor zwanzig Jahren einen Wettbewerb ausgeschrieben. Wer ihm einen Rhodo züchtet, der ist wie der, den seine verstorbene Mutter so liebte, der kriegt fünfundzwanzigtausend Pfund.«
»Schade«, bemerkte Hella trocken.
»Wieso?«
»Vor zwanzig Jahren war das Pfund viel mehr wert als heute.«
»Na ja«, Gerda verdrehte ihre hübschen Augen, »aber umgerechnet sind das dreißigtausend Euro, und das ist doch nicht schlecht. Dafür muss ’ne alte Fußpflegerin lange feilen.«
Hella ter Fehn hatte viel mehr Geld geerbt, als sie benötigte. Das beruhigte natürlich. Deshalb elektrisierte sie die Nachricht nicht wegen ihres finanziellen Aspektes.
»Weißt du, Gerda«, sagte sie nachdenklich, als sie ihren Lehnstuhl an den Tisch rückte, »mich hat das gerade richtig getroffen.«
Gerda staunte. Hella ter Fehn war für sie immer die Ruhe in Person.
»Was denn?«, fragte sie gespannt.
»Dieser Name. Ich wusste nie, was er bedeutet. Wer oder was damit gemeint ist.« Hella bemerkte, dass ihre rechte Hand vor Aufregung zitterte und schob sie unter ihren Oberschenkel. »Ich bin ganz geplättet, dass die Rose von Darjeeling ein Rhododendron ist! Ich dachte, es wäre eine Frau …« Das Binsengeflecht vom Sitz des alten Eichenstuhls drückte sich unangenehm in ihre Handfläche, und sie zog sie gleich wieder hervor.
»Aber die Lokalzeitung hat damals groß darüber berichtet …«
»Ich hab damals in Osnabrück gelebt.«
»Ach ja, stimmt. Also, fast jede bedeutende Ammerländer Baumschule wird auf der Rhodo neben der üblichen Leistungsschau auch an diesem ›Rose‹-Wettbewerb teilnehmen. Die machen alle ein großes Geheimnis darum. Ihre
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