Die Rose von Darjeeling - Roman
Rose-von-Darjeeling-Züchtung soll niemand vorher zu Gesicht bekommen. Das weiß ich von Hein.«
»Hein ist dein Freund, nicht?«
Gerda, deren erstaunlich glattes Gesicht noch nie Make-up gesehen hatte, errötete. »Die einen sagen so, die andern so. Ein Freund auf jeden Fall.«
»Und was macht der?«
»Oh, Hein ist vielseitig.« Verlegen rührte Gerda in ihrem Kaffee. Nicht ohne Stolz zählte sie dann auf. »Er fährt Taxi, ist sein eigenes. Und er hat einen kleinen Hof, von seinen Eltern übernommen. Da züchtet er noch ein paar Ammerländer Edelschweine. Und er kümmert sich als Mann für alle Fälle um die Gewächshäuser der Baumschule Jonas.«
Schlagartig verdüsterte sich Hellas faltiges Gesicht. »Jonas! Uäh!« Sie spie den Namen geradezu aus, nahm sich grimmig ein Stück Kuchen mit Kandiskruste und zermalmte es mit ihren Dritten.
Gerda lächelte. Sie hätte den Namen nicht erwähnen sollen! Jeder wusste doch, dass die ter Fehns und die Jonas seit Jahrzehnten verfeindet waren.
»Was ist mit den Jonas?«, wagte Gerda dennoch zu fragen.
Schroff antwortete Hella. »Undankbar und verlogen.« Ihre Miene machte deutlich, dass sie sich dazu nicht weiter äußern wollte.
Einen Moment schwiegen die beiden Frauen, dann fragte Gerda: »Woher kennst du die Rose von Darjeeling?«
»Ich kenn sie ja gar nicht. Hab nur von ihr gehört. Das war ungefähr das Letzte, wovon mein Vater sprach. ›Nun hat die Rose von Darjeeling am Ende doch nur mir allein gehört‹, hat er sinngemäß gesagt. Es klang wie ein Triumph, aber ich hab’s nie verstanden.«
Gerda schaute die alte Frau mit großen Augen an.
Hella versuchte, sich genauer zu erinnern. »Er sagte auch, dass er für sie sorge und sie vor Kälte beschütze. Und niemand außer ihm wisse, wo sie stecke. Ich hab immer geglaubt, er fantasiert sich etwas zurecht, das vielleicht mit früher zu tun hat …«
»Hella, das könnte doch bedeuten, dass es noch ein Exemplar gibt von diesem gesuchten Rhodo!«, rief Gerda aufgeregt.
»Wie, hier?«
»Keine Ahnung, wo.«
Hella dachte angestrengt nach. »Könnte ja praktisch überall sein. Außerdem ist mein Vater dreißig Jahre tot. Seitdem hat sich einiges verändert.«
»Das allerdings.«
»Tu mir einen Gefallen«, sagte Hella streng, »und behandle unser Gespräch vertraulich. Mir ist diese Rose von Darjeeling völlig gleich! Geld brauch ich auch keins mehr. Ich will nicht, dass mir hier Leute mit Spaten ums Haus schleichen. Verstehst du das?«
»Klar.«
Gerda hielt viel auf ihre Verschwiegenheit. Ihre Klienten durften sicher sein, dass sie mit ihren Geheimnissen nicht hausieren ging.
Jersey – Ammerland
April 2010
An einem nasskalten Tag im April erreichte den alten Lord Charles Taintsworth auf Jersey ein Anruf aus Bremen.
»Hallo, Charles, altes Haus. Hier spricht Ludwig Brunken. Du erinnerst dich?«
»Aber sicher, mein Freund. Wie geht’s, was macht die Deutsche Rhododendron-Gesellschaft? Wir sehen uns doch Mitte Mai in Westerstede in der Jury?«
»Aber gewiss! Du, ich habe da gestern zufällig ein Gerücht gehört …«
Sie telefonierten eine halbe Stunde lang.
Anschließend rief ein aufgeregter Lord Charles seinen Sohn zu sich.
»Max, du musst sofort nach Deutschland reisen. Mir ist ein Gerücht zu Ohren gekommen, wonach wahrscheinlich irgendwo in einem alten Ammerländer Garten noch ein Original der Rose von Darjeeling existiert.«
Maximilian war alles andere als erfreut, er hatte eigentlich mit Freunden eine Woche auf einer Segelyacht vor Mallorca verbringen wollen. Bislang war nur ausgemacht gewesen, dass er seinen Vater zum Wettbewerb zur Rhododendronausstellung begleiten sollte. Aber das war erst in einem Monat.
»Das Original wäre ja tausendmal besser als jede Nachzüchtung«, begründete sein Vater seinen Wunsch. »Und ich will nicht riskieren, dass jemand uns zuvorkommt.«
»Wie stellst du dir das vor? Das ist ja wie die Nadel im Heuhaufen suchen. Hast du nähere Hinweise?«
Charles schüttelte den Kopf. »Aber mein alter Freund Ludwig hat mir ein paar Adressen von Fachleuten genannt, die dir weiterhelfen können.«
Widerwillig übernahm Maximilian den Auftrag. Um seinen Vater zu beruhigen, würde er rasch nach Deutschland fliegen, einmal mit dem Leihwagen durch die Gegend kurven, irgendwo gut essen, vielleicht in der nächst größeren Stadt ein bisschen Sightseeing machen und dann zurückkommen. Es war so gut wie aussichtslos. Erst recht, wenn er nicht direkt nach der Rose von
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