Die Rose von Darjeeling - Roman
Darjeeling fragen durfte, weil dadurch schlafende Hunde geweckt werden könnten.
Charles zog eine Mappe mit vergrößerten Farbfotografien aus der Schublade. »Hier, du warst ja noch ein Kind … So sah sie aus. Und sie duftete ganz eigen.« Sein Gesicht bekam einen entrückten Ausdruck.
»Ja, ich erinnere mich«, erwiderte Maximilian ungeduldig. Er wandte sich zum Gehen.
»Max? Eines noch«, Charles fuhr sich durchs Haar, »du weißt, manche Leute wittern Geld und werden zu Schleimern oder Hyänen, wenn sie unseren Namen hören. Also, sei bitte ein bisschen vorsichtig.«
Max grinste schief. Das kannte er schon. »Klar, inkognito. Max Whitewater geht auf Reisen, Dad.« So lautete das Pseudonym, das er seit Studententagen manchmal benutzte. Es war, wie er inzwischen herausgefunden hatte, nicht besonders originell gewählt. Die meisten Autoren wählten als Nachnamen den Mädchennamen ihrer Großmutter und als Vornamen den ihres Lieblingshaustiers. Na, wenigstens in diesem Punkt blieb er sich treu: Sein Vorname langte für zwei Identitäten.
Wenn Maximilian Taintsworth das Luxusleben als künftiger Lord und Erbe zu langweilig wurde, schrieb er unter dem Namen »Max Whitewater« Reportagen für eine Reisezeitschrift, die im Londoner Verlag seiner Tante Annabella und ihres Mannes Leroy erschien. Zu deren Zeitschriftensortiment gehörte auch ein Gartenmagazin. Bislang hatte er sich viel zu jung für diesen Themenbereich gefühlt, aber nun würde Max Whitewater wohl über Nacht zu einem neuen Mitarbeiter von Park & Garden mutieren.
Der Gedanke an sein anderes Ich munterte ihn ein wenig auf.
Nachdem Max in einem großen weißen Hotel am Zwischenahner Meer eingecheckt hatte, fuhr er mit dem am Bremer Flughafen gemieteten Wagen zu seiner ersten Kontaktadresse, zur Juniorchefin eines seit Generationen auf Rhododendren spezialisierten Baumschulbetriebs. Er nahm nicht die Autobahn nach Westerstede, sondern Landstraßen. Die bemerkenswert flache Landschaft erinnerte ihn an englische Parks: grüne Weiden, Wallhecken und Häuser aus blaurot gebranntem Klinker oder warmrotem Backstein und Ziegeln im gleichen Farbton – vor dem aprilblauen Himmel mit weißen Wolken eine wohltuende Farbkomposition. Die Eichenalleen gefielen ihm, schade, dass die Bäume noch kein Laub trugen. Am Straßenrand und in den akkurat gepflegten Vorgärten leuchteten gelbe Osterglocken. Ab und zu erspähte er ein stilecht restauriertes Bauernhaus mit Eichenfachwerk, Backstein und Reetdach. Max vermutete, dass darin zugezogene Städter wohnten. Zu einigen Baumschulen gehörten Areale wie aus einem Science-Fiction-Film. Es wirkte geradezu spacig, wie dort einige Bäume wuchsen – als hätte man ihre Kronen waagerecht zwischen riesige Zahnspangen gepresst. Dann wieder standen welche reihenweise Spalier. Tolle Dressurleistung, dachte Max, aber ihm gefielen die Straßenbäume besser, die krumm und schief von wildem Efeu berankt wuchsen, wie es ihnen ein beständiger Nordwestwind seit Jahrzehnten flüsterte.
Obwohl nur gemächlicher Verkehr herrschte, nervte Max der ungewohnte Rechtsverkehr. Er schaute öfter in den Rückspiegel als zu Hause – und musste grinsen, als er jetzt auch sein Gesicht darin sah. Denn er trug die ultrahippe eckige Achtzigerjahrebrille mit der breiten dunkelbraunen Fassung, die ihm eine süße Partymaus neulich bei einer postalkoholischen Shoppingtour durch London-Soho aufgeschwatzt hatte.
In Großbritannien tauchte sein Foto häufiger in den Klatschspalten auf. Nicht etwa, weil er die Presse suchte. Im Gegenteil. Aber als einer der gefragtesten und vermögendsten Junggesellen der Nation landete der zukünftige Lord Taintsworth dort unwillkürlich. Natürlich auch, weil er auf den Gästelisten angesagter Events stand. Dabei sortierte er schon Vieles aus, weil es ihn schlicht langweilte oder ihm zu dumm erschien, doch nicht alle Einladungen konnte oder wollte er absagen. Und wenn ein Hochadliger aus seinem Bekanntenkreis heiratete, spekulierten die Hofberichterstatter vorher tagelang, welche junge Dame wohl dieses Mal den begehrten Maximilian Taintsworth begleiten würde.
Max nahm nicht an, dass sein Konterfei in der norddeutschen Provinz bekannt war, aber diese leichte Verfremdung konnte nicht schaden. Seine blaugrünen Augen jedenfalls erkannte man nicht auf den ersten Blick. Max wuschelte sich mit den Fingern rasch noch die dunkelblonden Haare in die Stirn und grinste in sich hinein.
Er liebte es, dumme Fragen stellen zu
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