Die Rose von Darjeeling - Roman
dürfen.
»Guten Tag, ich möchte zu Frau Jonas. Sie erwartet mich.« Max’ Deutsch war dank einigen Semestern Politik und Jura in Berlin ganz passabel.
»Zur jungen oder zur Mutter?«
»Zur jungen.«
»Ist hinten. Beim Hochbeet.«
»Hochbeet?«
»Ja, ein höher gelegtes Beet. Dem kann Bodenfrost nichts anhaben. Ist auch gut bei Rückenproblemen.« Die Mitarbeiterin der Baumschule, die Max angesprochen hatte, lächelte. »Gehen Sie einfach an der Ausstellungsfläche draußen vorbei, bis zu den Magnolienbäumchen und dann bei den kleinen Japanischen Azaleen rechts.«
»Vielen Dank.«
Die Sonne schien zwar, aber ein kühler Wind fuhr durch die Reihen mit den immergrünen Gehölzen. Einige blühten, einige noch nicht. Erst in diesem Moment ging Max auf, dass es noch einen Punkt gab, den er nicht bedacht hatte: Was, wenn die legendären scharlachroten Blüten der letzten Rose von Darjeeling, falls sie denn existierte, noch nicht aufgegangen waren? Es war schließlich erst April. So ein Mist. Dann müsste er länger bleiben als geplant. Das fehlte gerade noch. Immerhin, sein Hotel verfügte über einen annehmbaren SPA -Bereich. Vielleicht kaufte er sich einfach einen spannenden Thriller und machte eine Woche Urlaub. Hatte seine Großmutter Kathryn ihm nicht immer gepredigt, er solle das Leben genießen?
Max bog bei den in Rot und Orange flammenden Azaleen um die Ecke. Hier standen Rhododendren in Töpfen auf schwarzer Folie. Zwei wahrscheinlich polnische Arbeiter wässerten sie gerade. Dahinter erstreckten sich gläserne Gewächshäuser und Anzuchtflächen, deren halbrund überdachende Planen weit zurückgeschlagen waren. Neben einem Arbeitstisch befand sich ein langes Hochbeet, an dessen Ende ganz in Gedanken versunken eine blonde Frau stand. Wie eine Wassernymphe aus einem alten Märchen, dachte Max. Anmutig, selbstvergessen, fast ein wenig rätselhaft. Sie hatte ihre Wange auf das schulterhohe Hochbeet gelegt und schien sich etwas anzusehen oder etwas zu suchen.
»Guten Tag.«
Sie reagierte nicht auf seinen Gruß. Was zum Teufel machte sie? Was sah sie? Träumte sie?
Max legte am anderen Ende des Hochbeetes seine Wange auf die Erde. Die Sonne schien der Frau ins Gesicht. Er blickte ihr direkt in die Augen, leuchtend blaue Augen, und sein Herz begann zu rasen. Es haute ihm fast die Beine weg. Ich möchte morgens aufwachen und in dieses Gesicht sehen, dachte er. Nie hätte er gedacht, dass ihm so etwas passieren könnte. Tief in seinem Innern musste es schon lange ein Bild von ihr gegeben haben. Was für ein unglaublich klares Gesicht! Diese Augen! Sie schienen durch ihn hindurchzusehen … Und sie hatte eine Haut, von der er ahnte, dass sie sich weich wie Milch und Honig anfühlte. Bestimmt besaß sie Herz und Verstand und Witz. Er wusste es. Das alles wusste er innerhalb weniger Sekunden.
Nein, protestierte ein letzter Rest Vernunft in ihm. So was passiert nicht in Wirklichkeit, nur in Kitschfilmen. Oder doch? In seiner Brust spürte er ein einziges Jubilieren. Es passierte. Ihm. Jetzt gerade.
Abrupt hob Julia Jonas den Kopf. Wer war denn das? Und wann hatte sie zuletzt eine dermaßen scheußliche Brille gesehen? Das Gesicht des jungen Mannes konnte sie nicht richtig erkennen, weil die Sonne sie blendete.
»Moin«, sagte sie.
Der Mann am anderen Ende des Hochbeets hob seinen Kopf und kam jetzt lässig auf sie zu. Wohl zu lässig, denn er rutschte auf einer nassen Plane aus und strauchelte.
»Oh, sorry«, sagte er verlegen.
»Meine Güte, haben Sie sich verletzt?« Julia wischte ihre Hände an der grünen Gärtnerschürze ab, die sie über Cordhose und Kapuzen-Sweatshirt trug.
»Nein, ich glaube nicht.«
Sein englischer Akzent war unverkennbar, und gleich darauf fragte sie: »Sind Sie der englische Journalist?«
»Ja, Madam, sorry, ja, das bin ich. Max Whitewater.«
»Hallo, Mr Whitewater, Sie brauchen sich nicht dauernd zu entschuldigen. Ich bin Julia Jonas. Wir haben telefoniert.«
Sie reichte ihm die Hand und musterte ihn. Immerhin, abgesehen von der furchtbaren Brille und der verbotenen Frisur war er gut gestylt: dunkle Blue Jeans, Polohemd, Kaschmirpulli und ein olivgrünes Tweedjackett, Lederschuhe.
»Guten Tag, Frau Jonas. Schön, dass Sie sich Zeit für mich nehmen wollen.«
Max brachte ein Lächeln zustande. Ihre Stimme! Sie klang so samtig warm.
»Ehrlich gesagt«, beiläufig zog sie ein Gummiband aus der Hosentasche, raffte ihre blonden Haare zusammen und band sie zu einem wilden
Weitere Kostenlose Bücher