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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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fortzubringen. Der Jüngling blieb in einer unbeschreiblichen Stimmung zurück. Durch Auge und Ohr überzeugte er sich, daß der Körper des Richters vollständig regungslos auf dem Grunde der Grube lag. Dann prüfte er das Gewicht des Kastens; dieser war sehr schwer, und ein verrätherisches Klingen ließ auf die Kostbarkeit seines Inhaltes schließen. War er wirklich mit Geld gefüllt, wem gehörte es, und wie kam er hinab in das Grab? Sein Auge glitt suchend über den Boden und traf auf einen hellen Gegenstand, welcher, wie er vorhin bemerkt hatte, dem Klapperbein im Ringen entfallen war. Er hob ihn auf und vermochte nicht, einen Ausruf der Verwunderung zu unterdrücken. Es war sein Brief an den Herrgottsengel, den er vor kaum einer Viertelstunde in den Briefkasten am Kreuzle gesteckt hatte. Rasch blickte er zur Halde auf. Die Laterne war verlöscht, zum Zeichen, daß der Brief an seine Adresse gelangt sei. Da hörte er nahende Schritte und verbarg das Schreiben in seine Tasche.
    »Da bin ich wieder! Ist ‘was vorgekommen?«
    »Nein.«
    »So laß uns hinableuchten!«
    Er enthüllte die Blendlaterne und ließ ihren Schein in die Tiefe fallen.
    »Er ist mit dem Kopfe aufgeschlagen und in die Ohnmacht gesunken. Die Leiter hat er selbst dort aus der Eck’ herbeigeholt. Komm, steig’ mit hinab; er muß herauf!«
    Es war keine leichte Aufgabe, den schweren Mann empor zu schaffen. Sein Körper wog wie Blei, und seine Glieder waren steif und unbiegsam wie Eisen. Erst als er auf der Erde lag, war es möglich, ihn zu untersuchen.
    »Das ist nicht Ohnmacht, Ludewig, das ist der Tod, der sichere, starre Tod! Er hat die Selma für die gehalten, die da unten liegt, und ist darüber vor Schreck zu Stein geworden. Der Schreck ist ein gar mächtiger Gesell und hat schon Manchen niedergeworfen, der stark und rüstig war!«
    »Herr, mein Gott, ist’s möglich? Ich kann’s gar nimmer fassen!«
    »Es ist so; glaub’ es mir! Der Schlag hat ihn getroffen und sein Blut zu Eis erstarrt. Da sieh’ den Kopf, das Aug’ und den ausgestreckten Arm. So hat er da gestanden und die Selma angeblickt. O, Ludewig, der Herrgott ist gar fürchterlich in seinem Zorn, und seine Gerechtigkeit macht, daß wir uns die Straf’ stets selbst bereiten. Du kannst mich nicht genau versteh’n, aber Du sollst Alles erfahren. Die Leich’ muß nach Haus’ getragen werden. Laß uns nur gleich berathen, was wir am Besten thun! Komm’ herein!«
    »Zur Selma? Darf sie es denn wissen?«
    »Es geht nicht anders; doch müssen wir vorsichtig sein. Die Leich’ bleibt einstweilen hier, aber den Kasten, den faß mit an; er muß mit in die Stub’ hinein.«
    »Das glaub’ ich auch. Es ist dem Herrgottsengel seine Geldschatull’; die dürfen wir nicht wohlfeil stehen lassen!«
    »Dem Herrgottsengel seine? Was meinst damit?«
    Der Gefragte zog den Brief hervor.
    »Warum hast mein Schreiben verloren, das ich auf Deine Post gegeben hab’? Richterbauers-Anton, hier liegt Einer, den das Gericht Gottes niedergestreckt hat auch mit für Das, was er uns Böses gethan. Doch der Herrgott straft nicht allein, sondern er weiß auch zu belohnen, und was dort droben am Kreuzle für gute That geschehen ist, das wird keinem Andern als nur Dir vergolten werden. Hab’ ich Recht?«
    »Die Post am Herrgottle ist nicht um des Lohnes willen angebracht worden. Doch komm’ herein. Du und die Selma, Ihr sollt erfahren, was Niemand wissen darf!«
    Sie gingen in das Haus zu dem in schwerer Besorgniß ihrer harrenden Mädchen.
    Draußen schien der Mond und blinkten die Sterne so hell wie zuvor herab in die kleine Ecke, in welcher der Richter den wohlverdienten und von ihm selbst vorbereiteten Lohn gefunden hatte.
    Auch das größte Glück oder Leid der Erde vermag nicht, die Bahnen des Himmels zu stören. So wandelt auch die Vorsehung in unerreichbarer Höhe und läßt sich durch keinen Spott und durch kein Sträuben ein Jota abdingen von den Gesetzen, nach denen der Sterbliche unter die unnachsichtliche Gerichtsbarkeit seiner eigenen That gestellt ist.

Des Kindes Ruf
Eine Geschichte aus dem Erzgebirge von Karl May
I.
    Die Nachmittagsschule war aus, und die kleinen sechs-bis siebenjährigen A-B-C-Schützen rutschten fröhlich von ihren Bänken, um die unliebsame Gefangenschaft mit der goldenen Freiheit zu vertauschen.
    Der Lehrer hatte sich an die Thür postirt, um sich die schüchternen Händchen zum Abschiede darreichen zu lassen.
    »Fährmann’s Paul, Deine Hand mag ich nicht!«

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