Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
Selma?«
»Doch der Klapperbein!«
»Nein. Dein Vater ist’s!«
»Mein Vater? Das ist nicht möglich! Was sollt’ der hier im Grab zu suchen haben? Du hast Dich versehen!«
»Nein. Paß auf, er kommt herauf.«
Der helle Schein verschwand; das Licht war ausgelöscht worden. Aber das Firmament stand voller Sterne, und der Mond blickte voll und groß vom Himmel nieder; man konnte jede einzelne der Blumen erkennen, welche das Grab der im Schacht Zerschmetterten schmückten. Es war ein tiefes, angestrengtes Stöhnen zu vernehmen; ein schwerer Kasten wurde aus der Grube gehoben, der dann eine breite, kräftige Gestalt entstieg. Es war der Richter. Er hatte trotz der Schrecken, welche grad’ dieses Grab für ihn haben mußte, die Ausführung seines finsteren Planes unternommen; aber es war ihm doch beinahe über seine Kräfte gegangen. Wie von bösen Geistern gehetzt, blickte er mit stieren Augen und verzerrten Zügen um sich; sein Athem keuchte schnell und ängstlich aus der fliegenden Brust heraus, und die Beine schienen ihm unter dem zitternden Körper brechen zu wollen. Er bückte sich nieder, um den Kasten aufzunehmen; da rauschte es durch die Zweige, und die lange Gestalt des Klapperbein richtete sich vor ihm in die Höhe.
»Willkommen, Spitzbubenfrieder! Soll ich Dir helfen?«
Fast wäre der Angeredete vor Schreck rücklings in die offene Grube gestürzt; er raffte sich jedoch zusammen und trat zwischen seinen Raub und den Erschienenen.
»Ich bedarf hier keiner Hilf’. Geh’ aus dem Weg, Kirchhofsscheuch’!«
»Das werd’ ich gern und willig thun, denn Dein Weg führt stracks ins Verderben. Ich bin nicht schuld an der Begegnung. Hätt’st das Gitter wieder zugeschlagen, wie Du es gefunden hast, so wär’ ich nimmer auf den Gedanken gerathen, daß Einer mich um Mitternacht besucht. Komm’ mit herein ins Haus, da soll sich Alles finden!«
»Es wird sich hier schon finden.« Er griff zum Boden nieder, raffte ein Beil, welches er sich jedenfalls als Werkzeug mitgebracht hatte, auf und schwang es nach dem Kopfe des Gegners. »Fahr’ hinunter in die Grub’!«
Der Klapperbein ergriff seinen erhobenen Arm und versuchte, ihm die Waffe zu entreißen.
»Willst so? Gut, sollst Deinen Willen haben. Da unten liegt die Schwester, die Du ermordet hast; der Mörder gehört zu seinem Opfer. Die Bertha ruft, geh’ hin zu ihr!«
Die bewaffnete Rechte des Richters festhaltend, holte er zum niederstreckenden Schlage aus, strauchelte dabei über den Kasten, dem er sich beim Ringen genähert hatte, und stürzte unter der Gewalt seines eigenen Diebes zur Erde nieder. Im Nu kniete Schubert über ihm.
»Meinst wirklich, daß ich mich vor der Todten fürcht’? Ich lach’ über sie, und wenn sie jetzt sogleich leibhaftig erscheint, um Dir zu helfen. Leb’ wohl, Anton, mit Dir ist’s aus!«
Er erhob das Beil zum tödtlichen Streiche. Da stürzte Selma vor. Das verhüllende Tuch war ihr auf die Schultern herab geglitten; der Mond warf sein Licht auf ihre klaren Züge.
»Halt’ ein, halt’ ein, steh’ auf von ihm!« rief sie in höchster Angst.
Er blickte empor.
»Bertha – Ber – –!« Es zog ihn halb empor; es riß ihm die Arme weit auseinander; sein Haar sträubte sich, seine Augen quollen mit erschrecklichem Ausdrucke unter den Lidern hervor. – »Bertha – Ber – Ber – –«
Erst hatte er den verhängnißvollen Namen laut hinausgeschrieen; er konnte ihn nicht wiederholen; die Laute erstarben ihm zwischen den Lippen; die ersteifende Zunge vermochte kaum noch zu lallen; er taumelte hin und her, schlug hinten über und stürzte mit lautem Gepolter in die gähnende Grube hinab.
Der Klapperbein hatte sich erhoben und starrte das Mädchen an.
»Die Bertha –? Nein, Selma, Du bist’s? Du hast mich vom Tod errettet! Wie kommst zu dieser Zeit herbei? Und der Ludewig auch?«
»Der Vater hat befohlen, ich soll Dich um Zwölf zu ihm bestellen; ich hab’s vergessen und mich erst kurz vorhin darauf besonnen. Schau nach, Anton,« flehte sie angstvoll, »er ist hinunter ins Grab; schau nach, was mit ihm ist!«
»Um Zwölf sollt’ ich zu ihm kommen? Schau doch, wie klug der Frieder ist! Komm, Selma, komm; geh’ hinein in die Stub’. Hier kannst nicht länger sein. Ich werd’ Dir das Licht anbrennen, damit Du wartest, bis wir hier fertig sind. Halt’ Wach’ hier bei der Grub’, bis ich wiederkomm’, Ludewig!«
Sie widerstrebte lange, ehe es ihm halb durch Bitten, halb mit Gewalt gelang, sie
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