Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
wies er einen strammen, schwarzäugigen Lockenkopf zurück, welcher ihm mit offenem Lächeln die Finger der ausgespreizten Rechten entgegenstreckte.
Der Kleine zog die Hand zurück und sah ihn fragend an.
»Hast Du Dich gewaschen?«
»Nein.«
»Heut’ nicht?«
»Nein.«
»Gestern auch nicht?«
»Nein.«
»Wann denn?«
»Gar nicht.«
»Und gekämmt auch nicht?«
»Nein.«
Er schüttelte dabei langsam den Kopf und machte eine Miene, welche deutlich besagte, daß er sich gar nicht recht erklären könne, warum irgend Jemand gewaschen und gekämmt sein müsse.
»Sieh’ einmal Deine Finger an, Paul; die kleben ja vor Schmutz; an Deine Füße ist der Schlamm gebacken, und in den Haaren hängt das Heu und Stroh. Schläfst Du denn auch so?«
»Ja.«
»Im Bette?«
»Nein.«
»Wo denn?«
»Im Kuhstalle und – und auf dem Heuboden.«
»Was?! Der Fährmann’s Paul schläft im Kuhstalle?« Der gute Mann konnte nicht begreifen, warum der reichste Junge im Dorfe kein anderes und besseres Lager habe. »Und schau, wie Deine Hosen zerrissen sind, und die Jacke auch! So darfst Du mir nicht wiederkommen, sonst bist Du ja der echte Struwelpeter! Sag’s Deiner Mutter, sie soll Dich reinlicher in die Schule schicken!«
Die rothen Wangen des Getadelten färbten sich jetzt noch tiefer, und seine hellen Augen wurden feucht. Mit gesenktem Kopfe schlich er sich auf die Straße, wo die Anderen sich mit theilnehmender Miene um ihn schaarten. Nur Einer schien sich über den Verweis zu freuen.
»Der Fährmann’s Paul ist der Struwelpeter,« rief er; »er darf nimmer so in die Schule!«
Im nächsten Augenblicke hatte der Beleidigte seine Schiefertafel auf die Erde gelegt, packte den Spötter, warf ihn zu Boden und gab ihm ein paar Ohrfeigen, daß es schallte.
»Da hast den Lohn, Du Galgendieb!« meinte er dann ruhig, indem er seine Habseligkeiten wieder an sich nahm. »Du bist ein Schimpfmaul und darfst nimmer mit uns spielen!«
Der kleine Goliath erhielt weder Abwehr, noch Gegenrede, und das hatte seine Gründe. Der Fährmann’s Paul war gar hoch angesehen bei Seinesgleichen; er fürchtete sich vor keiner Gans und vor keinem Hunde; er riß sogar vor keinem Pferde aus, und was das Beste war, er konnte so unbeschreiblich schön spielen und sann sich immer neue Dinge aus, an die selbst der Herr Lehrer gar nie gedacht hätte. Darum war er der Hauptmann von der Löffelgarde, und es gab kein größeres Unglück, als wenn er Einem das Mitthun verbot.
Heute ging es gar nicht so lustig, wie sonst, auf dem Nachhausewege her. Der Paul war ganz tiefsinnig und gab fast gar keine Antwort auf die Reden, die ihm angeboten wurden. Erst am Thore seiner elterlichen Wohnung schien er sich auf das Versäumte zu besinnen.
»Geht heim und holt Euch Euer Vesperbrod,« befahl er. »Nachher kommt Ihr nach dem Sandloche und bringt die Gewehre mit; wir machen Räubers!«
Langsam, als sei der Weg ein schwerer für ihn, ging er nach der Stube. Das Gesinde saß beim Nachmittagskaffee; am Fenster arbeitete eine Nähterin emsig an einem buntseidenen Rocke, und in Mitten des Zimmes standen zwei riesige Backtröge auf vier Stühlen. Die Bäuerin hatte übermorgen Hochzeit; d’rum gab es jetzt zu backen und so viel zu schanzen und zu schaffen, daß man den Schweiß, der ihr auf der Stirn stand, recht wohl begreiflich finden mußte.
Sie war ein schönes Weib. Die dichten, pechschwarzen Flechten hatten sich gelockert und hingen ihr lang über den Nacken hinab; das Gesicht war voll und frisch, wie das eines jungen Mädchens; die dunkeln Augen blitzten mit lebhaftem Feuer unter den beredten Wimpern hervor; die kirschrothen Lippen ließen beim Sprechen zwei Reihen kleiner, glänzend weißer Zähne erblicken, und wie sie, hoch aufgeschürzt und mit emporgestreiften Aermeln, so vor dem Teige stand und gewandt und kräftig mit den schweren Gefäßen spielte, hätte selbst der schmuckeste Jungbursche nicht so leicht das Auge von ihr wenden können.
»Mutter, ich habe Hunger!« bat schüchtern der Kleine.
»Hab’ keine Zeit für Dich, Du Strolch!« antwortete sie in einem Tone, als habe ein fremdes Bettelkind sie angesprochen. »Wart’ bis zum Abende und geh’ jetzt gleich hinaus; hier findest keinen Raum!«
Der Knabe warf einen langen Blick auf die großen Schüsseln voll Rosinen, Butter und sonstigen Backerfordernissen, welche so appetitlich vor ihm standen, und sah dann sehnsüchtig nach dem Tische hinüber.
»Komm her, Paul,« meinte leise eine
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