Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
will, da bring’ ich ihn schon frei. Ich will Dir’s gleich einmal zeigen!«
Er rief die Knaben alle herbei.
»Hört, wir spielen jetzt das Zuchthaus! Das ist noch nicht dagewesen und wird Euch gern gefallen. Ich bin einmal mit der Großmutter dort gewesen und hab’ Alles gesehen, wie es ist. Dort ist das Haus, hier kommt die Mauer, und da geht es hinein in den Graben, wo das Kraut und der Salat gewachsen ist. Da haben wir den Vater d’rin gesehen, als wir vorüber gegangen sind. Sie schnitten Pflanzen heraus, und die Soldaten haben mit dem Gewehre dabei gestanden, damit Keiner davonspringen konnt’. Nun sollt Ihr seh’n, wie’s geht! Macht Euch auseinander. So! Ihr seid die Soldaten, und Ihr müßt die Gefangenen machen; Du bist der Vater, und nun kann die Sach’ beginnen. Ich werd’ gleich laden und Alles niederschießen. Und wenn ich keine Kugel mehr hab’, so schlag’ ich mit dem Kolben d’rein, wie’s der Vater gemacht hat, als er im Krieg gewesen ist. Der wartet auch gar nicht, bis ich gesiegt hab’; er ist stärker als alle Soldaten und macht sich los, sobald er mich nur sieht. So mußt Du’s auch thun! Nun geht; der Anfang kann beginnen!«
Mit offenem Munde hatten sie der Erklärung des schönen, neuen Spieles gelauscht, und Jeder eilte jetzt auf seinen Posten. Die Flinte, welche der Paul von seinem Vater zum Geburtstage erhalten hatte, stand bei Allen in großem Respect. Man konnte wirklich mit ihr schießen, und so war ihr bei allen Unterhaltungen die erste Rolle zugetheilt. Die Befreiung des armen Gefangenen gefiel den Knaben so gut, daß sie immer von Neuem wiederholt wurde, bis die Zeit der Heimkehr herangekommen war. Da stellten sie sich in Reih’ und Glied und marschirten nach dem Dorfe zurück.
Vor einem Gute stand eine alte, mächtige Linde. Unter ihr saßen zwei Frauen und schauten lächelnd auf den gravitätischen Zug.
»Ob der Paul nicht immer der Oberst’ ist!« meinte die Jüngere, indem sie ihr gutes, blaues Auge auf die Aeltere richtete, die einen grünen Schirm über dem oberen Theile des Gesichtes trug und sich vorsichtig von den Strahlen der untergehenden Sonne gewendet hatte.
»Ich kann ihn auf so weit nicht genau erkennen. Ruf’ ihn doch herbei, Minna!«
»Das ist gar nicht nöthig; er kommt schon ganz von selbst!«
Wirklich verabschiedete der Knabe die Genossen und stolzirte dann mit wichtiger Miene herbei.
»Großmutter, da bin ich! Ich hab’ den Vater frei gemacht.«
»Wenn Du das könntest,« seufzte die Angeredete, »so wärst Du größer, als der Advocat, der uns nichts genützt hat, und als die Männer, die ihn festhalten!«
»Ich kann’s, Großmutter. Ich hab’s im Sandloch probirt und geh’ bald nach der Stadt, um ihn heim zu bringen! Deshalb bekomm’ ich auch ein Butterbrod, nicht wahr, Lindenbäurin?«
»Hast wohl Hunger?« fragte die Genannte.
»Großen; so groß wie noch nimmer!«
»Was hast denn heut’ gegessen?«
»Heut’ früh nichts, zu Mittag nichts und nach der Schul’ ein Stückle Brod von der Magd. Die Mutter giebt mir nichts als Schläg’ und Prügel. Sie kann mich nicht erseh’n, hat sie zum Reitercurt gesagt, weil ich grad’ ausschau wie der Vater. Ich stand dabei und hab’s vernommen. Nun mag ich sie auch nicht mehr leiden und geh’ doch zu Dir, Minna, obgleich ich Straf’ dafür bekomm’. Du bist mir lieber, als sie!«
Sie zog ihn liebkosend an sich.
»Du armer, armer Schelm! Du bist im reichen Fährmannshof das Aschenbrödel, das sich verkriechen muß und doch nicht fortgegeben wird. Aber ich thu’ doch noch, was ich mir vorgenommen hab’: ich geh’ zum Richter, damit er Dich von der Rabenmutter wegnimmt und zu mir giebt. Uebermorgen bekommst gar den Stiefvater; wer weiß, wie Dir’s von ihm ergeht!«
»Ich mag keinen Stiefvater! Ich leid’ es nicht; ich werd’ ihn mit der Flint’ fortjagen!«
»Das mußt schon leiden, Paul; dagegen giebt’s nun keine Hilf’. Aber ich laß Dich nicht daheim; ich hol’ Dich her zu mir. Willst?«
»Ja; ich mag die Mutter nicht und auch den Reitercurt nicht, welcher sie beim Kopf faßt, wie der Vater. Er schaut mich so zornig an und schickt mich aus der Stub’ und fort vom Tisch. D’rum bin ich ausgezogen und in den Stall gewichen. Gieb mir Brod, Minna, sonst muß ich weinen!«
»Komm herein, Kind; Du sollst vollauf haben, was Du begehrst!«
»Und waschen und kämmen mußt mich auch, sonst darf ich morgen nicht in die Schul’! Die Mutter wirft mich zur Thür
Weitere Kostenlose Bücher