Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
hinaus, wenn ich sie darum bitt’.«
    Die Großmutter erhob sich und trat in das Haus. Sie wollte die Thränen verbergen, welche ihr in den schmerzenden Augen standen. Die beiden Anderen folgten ihr nach.
    Als der Knabe nach einiger Zeit wieder auf die Straße trat, hatte sich sein Aeußeres vortheilhaft verändert. Die Liebe, welcher er im Lindenhofe begegnete, glänzte in dem Sonnenscheine wieder, der auf seinem frohen, jetzt so sauberen Antlitze lag, und erwartungsvoll blickte er in die Fenster des Schulhauses, ob vielleicht an einem derselben der Lehrer stehe und die Besserung bemerke, die mit dem Struwelpeter vorgegangen war.
    Zu Hause angekommen, trug er die Flinte in den Stall und nahm die Schiefertafel zur Hand. Draußen im Garten gab es hinter dem Hollunderbaume ein schönes Plätzchen, wo ihn beim Schreiben und Malen, was er so gern that, Niemand störte, und es war noch hell genug, um das Zuchthaus zu zeichnen mit den Soldaten und dem Vater, den er frei machen wollte. Dann konnte er auch wieder in der Kammer schlafen und mit den Anderen am Tische mit essen, brauchte keinen Hunger zu leiden, der so weh that, und bekam auch ganz gewiß keine Schläge mehr.
    Er ging hinaus, kroch in sein Versteck, wo er oft schon halbe Tage lang gesessen hatte, ohne daß er bemerkt worden war, und arbeitete emsig an dem Bilde, welches es geben mußte, wenn er in den Graben stieg, um zum Vater zu kommen. Er war so vertieft in seinen kindlichen Plan, daß er die Zwei, welche nach ihm in den Garten getreten waren, nicht eher bemerkte, als bis er ihre Stimmen hörte.
    Es war die Mutter mit dem Bräutigam. Sie hatte sich Zeit genommen, um einige Augenblicke mit ihm allein zu sein.
    »Ich hab’ von früh bis jetzt nach Dir ausgeschaut, ob Du kommen werdest,« meinte sie mit Vorwurf. »Wo bist denn nur herumgelaufen?«
    »Ich war beim Bruder, der im Zuchthaus auf Commando steht. Ich muß ihn doch zur Hochzeit laden. Er hatte frei am Vormittage und ließ mich gar nicht fort. Wir sind spaziren gewesen und auch um die Gefangenschaft ‘rumgegangen. Weißt, wen ich da gesehen hab’?«
    »Kann mir’s schon denken!« antwortete sie kalt und wegwerfend.
    »Er darf noch immer im Freien arbeiten und hat gar jämmerlich ausgeschaut. Wer gut gehorsam ist oder krank wird, der bekommt gar oft vom Director die Erlaubniß, mit an die frische Luft zu geh’n. Er hat lange in der Arzneistub’ gelegen, sagt mein Bruder, und ist so herabgekommen, daß er das Dorf wohl gar nicht wieder zu sehen bekommt.«
    »Das wär’ das Best’ für ihn und uns. Ich müßt’ mich ja zu Tod schämen, wenn er wiederkäm’. Er war ein armer Schlucker, der nichts besaß, als was er auf dem Leib hatte; durch mich ist er reich geworden und so angesehen, daß er sogar mit in die große Actiengesellschaft kam und das Geld verwalten durfte. Das ist ihm in den Kopf gestiegen und hat ihn stolz und schlecht gemacht. Er hat mich nicht mehr auf den Tanz gelassen, weil es sich für eine ordentliche Frau nicht schickt, mit Jedem auf dem Saale herumzuschwenken, sagte er, und als ich ihn deshalb nicht mehr leiden konnt’ und Dir gut geworden bin, da ist’s vollends ganz aus gewesen. Nun hat er das Buch falsch gemacht und die Gesellschaft bestohlen und sitzt im Zuchthaus. Es ist ihm ganz recht; er mag nur immer sterben!«
    Bei diesen harten Worten ließ sich ein unterdrücktes Schluchzen hinter dem Hollunder vernehmen. Es that dem Knaben weh, daß der Vater sterben sollte; er konnte seinen Schmerz nicht zurückhalten. Die Bauerin blickte durch die Zweige, faßte ihn bei den Haaren und zog ihn hervor.
    »Was hast hier zu lauschen, Du heimtückischer Bub’! Willst wohl grad’ so ein Wicht werden, wie Dein schöner Vater, der auch nichts lieber gethan hat, als mir nachzuschleichen und auf Schritt und Tritt mich auszuhorchen? Komm heraus und zeig’, was Du thust!«
    Sie riß ihm die Schiefertafel aus der Hand und betrachtete die seltsamen Hieroglyphen, welche er gezeichnet hatte.
    »Was soll denn das vorstellen? Solch’ dummes Zeug bekommt Ihr wohl in der Schul’ gelehrt?«
    »Das ist das Bild von dem Vater, wie ich ihn holen werd’!«
    »Ach so,« lachte sie, »Du willst ihn herausbringen! Wie soll denn das gescheh’n, Du Dummhut, der Du bist?«
    »Das ist nicht dumm!« vertheidigte er sich muthig. »Er darf nicht sterben; er muß heraus, und ich geh’ und helfe ihm mit meiner Flint’! Ich hab’s vorhin im Sandloch schon probirt; es geht ganz gut!«
    »Im Sandloch

Weitere Kostenlose Bücher